Tagesspiegel, 6.3.2000 Misshandlung in der Türkei Folter-Werkzeuge in Istanbuler Polizeiwache entdeckt Susanne Güsten Die Polizisten machten große Augen und dumme Gesichter: Wie das Zeug nur in ihre Wache komme, fragten sie unschuldig, und was das überhaupt sei? Dabei weiß jedes Kind in der Türkei, wozu die Werkzeuge genutzt werden können, die drei türkische Parlamentsabgeordnete jetzt bei einer unangekündigten Inspektion in der Istanbuler Polizeiwache Kücükköy fanden: die "Falaka" für die alte orientalische Foltermethode der Prügel auf die Fußsohlen und der "palästinensische Haken" zum Aufhängen eines Opfers an seinen Armen. Schließlich waren es sogar Kinder, die die drei Mitglieder des parlamentarischen Menschenrechtsausschusses auf die Spur nach Kücükköy gesetzt hatten: die minderjährigen Insassen einer Istanbuler Jugendhaftanstalt beschrieben den Abgeordneten bei einem Besuch dort, wie sie in der Polizeihaft gefoltert worden waren - und wo sie auf der Wache nach den Folterinstrumenten zu suchen hätten. Die Entdeckung von Kücükköy könnte ein neues Kapitel in der langen Geschichte der Folter in der Türkei einleiten. Denn wenngleich es bekannt ist, dass auf türkischen Wachen gefoltert wird, so ist es doch äußerst selten, dass sich die Beamten auf frischer Tat ertappen lassen. Presse und Parlamentarier laufen nun Sturm. Selbst das Polizeipräsidium von Istanbul leitete eine Untersuchung gegen die Wache Kücükköy ein. Hunderte Folter-Opfer werden jährlich in den Behandlungszentren der türkischen Menschenrechtsstiftung diagnostiziert. Zu den am häufigsten angewandten Methoden der Sicherheitskräfte gehören den Erfahrungen dieser Opfer zufolge die "Falaka" und das Aufhängen an den Armen. Aber auch Elektroschocks, Abspritzen mit Eiswasser aus Hochdruckschläuchen und Vergewaltigung mit Knüppeln oder gar Gewehrläufen - und zwar an Männern wie Frauen - sind gang und gebe. Oft wird den Gefangenen zudem Schlaf und Nahrung verweigert und sogar die Luft zum Atmen entzogen, indem ihnen Tüten über den Kopf gestülpt werden. Strafrechtliche Verfolgung ist selten Allein in Istanbul registrierte der türkische Menschenrechtsverein IHD im vergangenen Jahr 334 Fälle von Folter in der Polizeihaft, wie aus seinem in dieser Woche vorgelegten Jahresbericht hervorgeht. Strafrechtlich verfolgt wurden aber nur die allerwenigsten, wie auch das Beispiel Kücükköy zeigt: Gegen die Wache erstattete 1998 ein Student Anzeige, weil er dort vom "palästinensischen Haken" gehängt und so stark geprügelt worden sei, dass sein Trommelfell platzte. Die Staatsanwaltschaft ließ die Anzeige fallen. 1999 zeigte ein Schüler die Wache an, nachdem er dort die "Falaka" erlitten hatte. Auch diese Anzeige wurde fallengelassen. Ein weiterer Jugendlicher beschwerte sich im selben Jahr, er sei von den Beamten in Kücükköy sexuell gefoltert, mit Vergewaltigung bedroht und geprügelt worden. Die Anzeige wurde von der Staatsanwaltschaft nicht weiter verfolgt. Und über die Strafanzeige einer jungen Frau, die in Kücükköy im vergangenen Jahr an den Armen aufgehängt und sexuell gequält wurde, ist bisher nicht entschieden. Selbst wenn es einmal zur Anklage gegen folternde Polizisten kommt, dann folgt meist ein Freispruch. Landesweit 246 Mal wurde nach Regierungsangaben im vergangenen Jahr Anklage wegen Folter gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte erhoben - doch nur 34 Polizisten wurden schuldig gesprochen. Und selbst diese Quote stellt schon einen Fortschritt dar: Denn in den drei vorangegangenen Jahren gab es nur insgesamt 15 Verurteilungen, wobei die höchste verhängte Strafe drei Jahre betrug. Türkische wie internationale Beobachter bescheinigen der Türkei neuerdings kleineVerbesserungen in Menschenrechtsfragen. Den Blick fest auf die angestrebte EU-Mitgliedschaft gerichtet, wird die türkische Regierung in letzter Zeit vermehrt gegen die Folter aktiv. So wurde die maximal zulässige Dauer der Polizeihaft verkürzt, was bereits zu einer Verringerung der Folter-Fälle geführt hat. Kurz vor dem EU-Gipfel von Helsinki hob Ankara die Höchststrafen für Folterer von fünf auf acht Jahre an und verlängerte die Strafen für Mediziner, die Folter-Spuren an Gefangenen verschweigen. Das Engagement der Regierung ist durchaus ernst gemeint. Denn im Gegensatz zu anderen Forderungen der EU - etwa nach Beschneidung der Macht des Militärs im Staate, Konzessionen in der Zypernfrage oder Anerkennung der kurdischen Minderheit - ist die Folter-Bekämpfung ein Thema, mit dem Ankara keine ideologischen Probleme hat: ein ideales Thema also, um guten Willen zu demonstrieren. Polizei missachtet Gesetze Trotzdem ist der Erfolg der Regierungsmaßnahmen gegen die Folter eher bescheiden. "Nicht mit neuen Gesetzen, in den Köpfen muss die Folter bekämpft werden", analysiert die auflagenstärkste türkische Zeitung "Hürriyet" und verweist darauf, dass es bereits genügend Gesetze gegen die Folter gibt, die aber nicht eingehalten werden. Tatsächlich verbietet schon die türkische Verfassung die Folter. Das Problem ist aber, dass die Polizei tut, was sie will. Genau deshalb erfüllte die Entdeckung von Kücükköy jetzt die beteiligten Parlamentarier mit Stolz und Zuversicht. Schon oft hätten sie unangemeldet Polizeiwachen besucht, sagte die Ausschussvorsitzende Sema Pitkinsüt. "Aber weil uns die Erfahrung fehlt, hatten wir bisher nie etwas finden können." Auch die Öffentlichkeit bejubelte den Fund. "Wir schulden dem Ausschuss Dank", meinte "Hürriyet" in einem Leitartikel. "Denn wir alle haben ja gesehen, dass die Wirklichkeit bisher verheimlicht wurde." Auf einer Pressekonferenz kündigten die Abgeordneten an, nicht zu ruhen, bis den Folterern das Handwerk gelegt ist. Damit die Beweismittel nicht wieder verschwinden können, nahmen sie die Folterwerkzeuge mit nach Ankara ins Parlament.
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