Neue Zürcher Zeitung, 07.03.2000 Furcht vor der Militarisierung humanitärer Hilfe Das 45. Rose-Roth-Seminar in Montreux Im Rahmen des 45. Rose-Roth-Seminars der parlamentarischen Versammlung der Nato haben in Montreux Volksvertreter und Fachleute über die Möglichkeiten und Grenzen einer militärischen Beteiligung an humanitären Operationen diskutiert. Dabei kam deutlich das Unbehagen beider Seiten über die zunehmende Verwischung militärischer und ziviler Funktionen und Aufgaben zum Ausdruck. msn. «Peace keeping is not for soldiers - but only soldiers can do it.» Diese provokative These scheint durch die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Serben und Albanern in Kosovska Mitrovica bestätigt. Nicht in erster Linie die Zivilpolizei der Uno-Übergangsverwaltung hat in der geteilten Stadt wieder für Ruhe und Ordnung gesorgt, sondern Soldaten der Kosovo-Friedenstruppe Kfor. Doch ist es wirklich die Aufgabe junger, für den Kriegseinsatz ausgebildeter und ausgerüsteter Soldaten, einen steinewerfenden Mob zur Räson zu bringen? Gehören Verkehrsregelung, die Aufnahme von Unfallprotokollen, das Decken von Hausdächern dazu? Wie gestaltet sich das Verhältnis zu zivilen Organisationen in einem Konfliktgebiet? Und wo liegen die Möglichkeiten und Grenzen der militärischen Beteiligung an humanitären Operationen? Diese und weitere Fragen standen im Mittelpunkt des 45. Rose-Roth-Seminars der parlamentarischen Versammlung der Nato in Montreux, das nach 1997 Ende der letzten Woche zum zweitenmal in der Schweiz stattgefunden hat. Forderung nach klarer Abgrenzung Verschiedene Vertreter humanitärer Organisationen kritisierten die schleichende Militarisierung der Hilfeleistungen, anerkannten gleichzeitig jedoch auch die Notwendigkeit von Truppeneinsätzen insbesondere bei überraschend auftretenden und sehr grossen Notsituationen. Der Direktor für Operationen beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), Jean Daniel Tauxe, würdigte die Leistungen der Nato in Albanien und Mazedonien bei der Aufnahme und Betreuung von flüchtenden Kosovo-Albanern im Frühling 1999. Gleichzeitig bestand Tauxe auf dem Grundsatz der klaren Trennung der beiden Bereiche; gerade in Konflikten ohne eindeutige Frontenbildung sei die Unparteilichkeit des IKRK und dessen allseitige Akzeptanz für eine wirkungsvolle Hilfstätigkeit unabdingbar. Bewaffnete Konvois etwa oder gar Soldaten zum Schutz von IKRK- Missionen hätten fatale Auswirkungen und wären bei Missionen über Konfliktgrenzen hinweg auch kaum praktikabel. Ins gleiche Horn stiess der stellvertretende Leiter des Uno-Hochkommissariats für das Flüchtlingswesen in Südosteuropa, Neill Wright. Die Tatsache, dass die Uno während des Kosovo- Konfliktes mit der Nato in einen Topf geworfen worden sei, habe die Arbeit zugunsten der Flüchtlinge auf dem Gebiet Jugoslawiens faktisch verunmöglicht. Fatal habe sich besonders die Abzugsaufforderung der Nato vor der Operation «Allied Force» ausgewirkt, deren Befolgung im Nachhinein wohl ein Fehler gewesen sei. Angesprochen auf die von der Uno in einem Untersuchungsbericht selbst eingeräumten Fehler bei der ersten Bewältigung der Flüchtlingswellen in Nordalbanien wies Wright darauf hin, dass wohl jede zivile Organisation mit der Aufnahme von täglich bis zu 80 000 Flüchtlingen überfordert gewesen wäre. Unbehagen über Funktionsverwischung Dass auch aus Sicht der Militärs ein gewisses Unbehagen über die zunehmende Verwischung der Funktionen bei friedenssichernden Operationen besteht, machte Oberstleutnant Johnny Rollins deutlich. Der stellvertretende Leiter für zivil- militärische Missionen im Nato-Hauptquartier Europa ging gar so weit, den Seminartitel umzudrehen und von einer «humanitären Beteiligung an militärischen Operationen» zu sprechen. Dabei sollten seiner Meinung nach die Streitkräfte nur temporär nichtmilitärische Funktionen übernehmen. Rollins plädierte für die möglichst rasche und reibungslose Übergabe an zivile Stellen bei Krisenreaktionsmissionen, zu denen er Kosovo zählte. Es könne nicht Aufgabe der Soldaten sein, «nation-building» zu betreiben. Sekundiert wurde er dabei von Michael Clarke vom Centre for Defence Studies am King's College in London. Nach dessen Prioritätensetzung steht die militärische Sicherung der Arbeit humanitärer Organisationen durch Abschreckung und Machtdemonstration in einem unsicheren Umfeld an erster Stelle - also die Wiederherstellung eines Mindestmasses an Frieden und Stabilität nach kriegerischen Auseinandersetzungen. Die polizeiliche Unterdrückung von Unruhen und die Bewältigung von Protesten wie in Mitrovica sieht der Analyst dagegen nachgeordnet, während er eigentliche Logistikaufgaben (wie Verkehrswege freizuhalten oder Transportkapazitäten anzubieten) sowie Not- und Aufbauhilfe als nicht vordringliche Aufgaben der Armee bezeichnete. Seiner Meinung nach besteht ein dringender Bedarf nach einer Planung von Einsätzen durch militärische und zivile Stellen, wie sie etwa im Permanent Joint Headquarter des britischen Verteidigungsministeriums bereits durchgeführt wird. Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Tatsache, dass in den britischen Streitkräften junge Soldaten - nicht zuletzt als Folge der Erfahrungen aus der Kolonialzeit und des Nordirland-Konfliktes - nach einer einheitlichen Doktrin auf friedenssichernde Operationen vorbereitet werden. Ein Plädoyer für die Gendarmerie Die Verwischung zwischen militärischen und zivilen Aufgaben ist derzeit in Kosovo wohl am deutlichsten bei der Sicherstellung von Ruhe und Ordnung zu beobachten. Schon längst haben Kfor-Soldaten polizeiliche Aufgaben übernommen, ist doch die (zumeist aus Freiwilligen rekrutierte) Uno-Polizei aus verschiedenen Gründen dazu noch nicht in der Lage. Der ehemalige Kommandant des in Kosovo stationierten französischen Gendarmerie-Kontingents, Oberst Claude Vicaire, benutzte in Montreux die Gelegenheit, seine Formation als ideales Bindeglied zwischen der Armee und der Zivilpolizei zu empfehlen. Während die Polizei vor allem für den Ordnungseinsatz in Friedenszeiten und die Bekämpfung der Kriminalität ausgebildet sei, die Soldaten hingegen für Krisen und Kriege, decke die Gendarmerie als militärischer Verband mit «zivilem Antlitz» (und im Unterschied zu der meist einzig mit Disziplinarstraffällen und Verkehrsregelung beschäftigten Militärpolizei) praktisch das ganze Spektrum ab. Allerdings räumte Vicaire auf eine entsprechende Frage mit sehr deutlichen Worten ein, dass es für die Probleme in Mitrovica keine militärische oder polizeiliche Lösung gebe, egal wie gross die Anzahl der dort stationierten Sicherheitskräfte auch sei. Vonnöten sei vielmehr endlich ein klares politisches Konzept, was mit der geteilten Stadt, was mit Kosovo geschehen solle. Ein Diskussionsforum seit 1991 msn. Das Rose-Roth-Seminar, das nach zwei amerikanischen Kongressabgeordneten benannt ist, findet seit 1991 vierteljährlich statt. Es dient den Volksvertretern aus den Mitgliedsstaaten der Nato dazu, mit den parlamentarischen Delegierten assoziierter Länder, Beobachtern und Experten aktuelle sicherheitspolitische Fragestellungen zu diskutieren. Ziel des Seminarzyklus ist es, die Zusammenarbeit zwischen dem Bündnis und den Staaten Mittel- und Osteuropas zu vertiefen. Seit Mai 1999 besitzt die Schweizer Bundesversammlung den Status eines assoziierten Mitgliedes der parlamentarischen Versammlung der Nato
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