junge Welt, 8.3.2000 Nachhilfe für Joseph F. Iranische Giftgas-Opfer demonstrierten in Teheran gegen BRD-Außenminister Am Dienstag haben mehrere hundert Menschen anläßlich der Iran-Reise von Außenminister Fischer vor der BRD-Botschaft in Teheran demonstriert. Die zum Teil mit ABC- Schutzanzügen bekleideten Demonstranten erinnerten den deutschen Außenminister daran, daß es aufgrund der Geschäfte von Firmen aus der BRD während des iranisch- irakischen Krieges zu massiven Giftgas-Einsätzen kommen konnte und verlangten eine Entschädigung. Tatsächlich ist Fischer hier mit einem Aspekt deutscher Außen- und Rüstungsexportpolitik der vergangenen Jahre konfrontiert worden, der für viele Menschen in der Golfregion Leid und Tod zur Folge hatte. Die Vorwürfe iranischer Demonstranten und der Satz, daß es hier wortwörtlich » Leichen im Keller des Auswärtigen Amtes« gibt, sind leider inzwischen bestens belegt. Der Hintergrund: Schon im Frühjahr 1984 lancierten offizielle US-amerikanische Kreise über die New York Times schwere Vorwürfe gegen westdeutsche Firmen: Durch die Lieferung von Laboranlagen und Chemikalien sei der irakische Machthaber Saddam Hussein in der Lage, Giftgas zu produzieren. Tatsächlich bezahlten sowohl Soldaten der irakischen Armee während des 1. Golfkrieges als auch Tausende Kurden im Nord-Irak die Geschäfte deutscher Firmen und die Tatenlosigkeit der damaligen Bundesregierung mit ihrem Leben. Durch Prozesse und Recherchen ans Tageslicht gekommen ist eine bemerkenswerte deutsch-irakische Zusammenarbeit: Während die Politik Saddam Hussein zu einem der gefährlichsten Männer der Region erklärte, liefen gleichzeitig heikle Waffengeschäfte wie geschmiert. Vom Bau der C- Waffenfabrik in Samarra über Ausbildung und Lieferung von Laborgeräten, Klimaanlagen, Chemikalien und den Grundstoffen zur Herstellung von Giftgas war alles fest in »deutscher Hand«. Brisant daran ist, daß die Kohl-Genscher-, später Kohl-Kinkel-Regierung trotz entsprechender Informationen und auch diplomatischen Drucks aus Washington, gegen die entsprechenden Firmen (Karl Kolb, Pilot Plant, Thyssen Rheinstahl, Rhein-Bayern, W.E.T. u. a.) vorzugehen, nichts unternahm bzw. für dubiose Lieferungen sogar noch Genehmigungen erteilte. Erst im August 1990, zwei Jahre nach den verheerenden Giftgasangriffen auf die kurdische Bevölkerung im Nord-Irak, dem größten Giftgas- Einsatz nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde die Staatsanwaltschaft aktiv und ließ sieben Personen aus dem Kreis um die Firmen Karl Kolb und W.E.T. verhaften. Mit Nazar Al-Kadhi und Peter Leifer, früheren Mitarbeitern von Preussag und dann für die W. E.T. tätig, waren unter den Verhafteten auch zwei ehemalige Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND). Die Rolle, die der BND und dessen ehemaliger Chef Klaus Kinkel sowie das Auswärtige Amt bei dubiosen Waffengeschäften spielten, ist bis heute ungeklärt. Als 1994 Anton Eyerle, Chef von Rhein- Bayern-Fahrzeugbau, wegen Lieferungen von Raketenzündern und Anlagenteilen zur Giftgasherstellung an Saddam Hussein vor Gericht stand, luden seine Verteidiger die FDP-Politiker Genscher und Kinkel als Zeugen vor. Nach Angaben des Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom sollten diese bestätigen, daß sogar die aus Pullach - dem Sitz des BND - »angeleitete Firma Telemit für etwa 100 Millionen Mark zum Teil falsch deklarierte Rüstungsgüter mit Wissen und Erlaubnis der Bundesregierung an Saddam Hussein geliefert« habe. Derartige Geschäfte müssen also politisch gewollt gewesen sein. Obwohl dem Auswärtigen Amt bis Ende der achtziger Jahre über 100 Ersuchen der Firma Telemit für Rüstungsexporte in den Irak und den Iran, nach Libyen, Syrien, Jordanien und Saudi-Arabien vorgelegt worden waren, von denen nur acht keine Genehmigung erhielten, hatte Ex- Außenminister Genscher vor Gericht dennoch nur noch »blasse Erinnerungen«. Und der damals amtierende Außenamtschef Kinkel gab an, er könne »nicht ausschließen«, daß er das Wort »Telemit« einmal gehört habe. Weniger blasse Erinnerungen scheinen immer noch einige Menschen im Iran, von Langzeitschäden Betroffene und Angehörige der Opfer, zu haben. Klar ist: Der Anfang der neunziger Jahre realisierte Panzer-Deal mit Saudi-Arabien, der gegenwärtig im Zusammenhang mit der Schwarz- und Schmiergeld-Affäre für zahlreiche Schlagzeilen sorgt, ist nur die sprichwörtliche Spitze eines Eisberges. Und für Fischer erkenntnisreich könnte auf jeden Fall nach seiner Rückkehr aus dem Iran das Studium der (hoffentlich nicht verschwundenen) Akten im Auswärtigen Amt sein. Allerdings müßte er danach seine Losung, er setze auf »Kontinuität in der Außenpolitik«, ernsthaft auf den Prüfstand stellen. Thomas Klein
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