Tagesspiegel, 9.3.2000 Internationaler Frauentag Türkinnen haben wenig zu sagen - trotz offizieller Gleichberechtigung Susanne Güsten "Wir betrachten den 8. März nicht als Feiertag", sagt Zülal Kilic, Vorsitzende des türkischen Frauenrechtsvereins KA-DER, über den Internationalen Frauentag. "Frauen haben hierzulande nichts zu feiern." Mit dieser brüsken Lagebewertung steht Kilic nicht alleine da. Mehr als ein dreiviertel Jahrhundert, nachdem den Türkinnen bei Gründung der Türkischen Republik die volle Gleichberechtigung versprochen wurde, sind die anatolischen Frauen nicht nur noch weit von der Emanzipation entfernt. Manch eine Türkin fragt sich sogar, ob seit 1923 überhaupt Fortschritte gemacht worden sind - oder nicht eher Rückschritte. So ist der Frauenanteil im türkischen Parlament heute niedriger als 1935, als die Frauen erstmals das Wahlrecht ausüben durften. Und fast 75 Jahre, nachdem die Türkinnen per Gesetz eigene Rechte in der Familie erhielten, konnte ein Regierungsbürokrat in Ankara jetzt ernsthaft vorschlagen, als Strafe für Ehebrecherinnen die Steinigung einzuführen. Was den politischen Einfluss der Türkinnen in ihrem Land angeht, so sprechen die Zahlen für sich: Unter den 550 Abgeordneten im Parlament sind 22 Frauen, was einem Anteil von vier Prozent entspricht und damit nicht nur weniger ist als in fast allen anderen Demokratien der Erde, sondern auch unter der 1935 erreichten Quote von knapp fünf Prozent liegt. Im 35-köpfigen Kabinett von Ministerpräsident Bülent Ecevit ist keine einzige Ministerin. Die Gouverneure der 80 Provinzen der Türkei sind ausnahmslos männlich, und in den Rathäusern und Kommunalparlamenten beträgt der Frauenanteil kaum ein Prozent. Nicht nur in der Politik, auch in der eigenen Familie sitzen die türkischen Frauen am kürzeren Hebel. Noch immer gilt in der Türkei die Bürgerliche Gesetzgebung von 1926, wonach der Mann das Familienoberhaupt ist und alleine über solche Fragen wie den Wohnort der Familie und die Erziehung der Kinder entscheidet. Danach bedarf eine Ehefrau auch der Zustimmung ihres Mannes, um bezahlter Arbeit nachzugehen. Zwar liegt seit zwei Jahren ein Gesetzentwurf zur Reform des Familienrechts vor, doch hat sich das männlich dominierte Parlament bisher nicht zur Verabschiedung durchringen können. Das Mindestheiratsalter für Frauen bleibt damit bis auf weiteres bei 14 Jahren, was die Emanzipation nicht gerade förden dürfte. Denn ein renommiertes türkisches Meinungsforschungsinstitut stellte in seiner Studie "Frauen 2000" gerade fest, dass fast zwei Drittel aller türkischen Ehefrauen per Brautwerber an den Mann gebracht wurden - also nur jede dritte Türkin ihren Bräutigam selbst gewählt hat. Selbst offizielle Untersuchungen der Regierung kommen zu deprimierenden Ergebnissen. Das "Generaldirektorat für den Status und die Probleme der Frauen", das dem türkischen Ministerpräsidentenamt zugeordnet ist, musste feststellen, dass 97 Prozent aller Frauen in den Armenvierteln der Städte Opfer von häuslicher Gewalt sind. Rund 40 Prozent dieser Frauen sind arbeitslos - jede fünfte ist Analphabetin. In den Dörfern Anatoliens gilt noch heute der Grundsatz, dass nur Söhne zur Schule geschickt werden. Bei Töchtern sparen sich viele Familien trotz allgemeiner Schulpflicht die Ausbildung, weil die Mädchen ohnehin früh verheiratet werden. Zwar ist es Vereinen wie KA-DER zu verdanken, dass überhaupt ein paar Frauen im Parlament sitzen. Weil politisches Engagement für die Gleichberechtigung der Frau meist aus dem linken Spektrum kommt, sind Emanzipationsforderungen dem Staat aber meist höchst suspekt und werden in die staatsfeindliche Ecke gerückt. Im letzten Jahr wurde eine Frauentagskundgebung in der Innenstadt von Istanbul von der Polizei auseinandergeprügelt. Am Mittwoch überwachte ein starkes Polizeiaufgebot eine Frauendemonstration im Istanbuler Stadtteil Sisli. Und mehrere im Südosten des Landes angemeldete Demonstrationen wurden schon im Vorfeld verboten, weil sie von der Kurdenpartei Hadep angemeldet wurden. In der Öffentlichkeit gab es zum Frauentag trotzdem viele Aufrufe zur Verwirklichung der Gleichbereichtigung.
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