Berliner Zeitung, 9.3.2000 Schöne Frau ohne Eigenschaften Ein türkischer Film über Vergewaltigung: "An Bord" Birgit Galle Wer nichts weiter weiß über einen türkischen Regisseur, der Serdar Akar heißt, klickt sich in ein entsprechendes Archiv. Serdar Akar. Es findet sich aber nichts über ihn, nur über einen anderen Akar (Talat Akar) steht da etwas Kurzes: kurdischstämmiger Rechtsanwalt, in Ankara ermordet, der zerstückelte Körper im Luftschacht des Wohnhauses, politisches Motiv schloss die Polizei zunächst aus. - Ohne sich diesen Zufall irgendwie zurechtzurücken, das passt doch alles. Der fremde Talat Akar und der fremde Serdar Akar und der Film über Männer am Rande des Noch-Menschseins, den wir hier haben. "An Bord" heißt er, und der erste Satz, den man hört, bevor noch ein Stück Handlung zu sehen ist, lautet: "Ein Schiff ist wie ein Land." Mit Recht und Ordnung und Gesetzen. Demzufolge ist der Kapitän darauf der Premierminister und der eine dies und der andere das. So wie in einem Land mit Regierung und Volk eben. Unmissverständlich: Der Film will ein Gleichnis sein. Und er füllt dieses Gleichnis mit einer Geschichte, die hart ist. Es stellt sich heraus, dass der Premierminister des Schiffes ein Mann ist, der sich über die glatten Haare streicht und sie dabei befühlt. Und zwar mit der Hand, an der er den schweren Ring trägt. Er raucht auch mit dieser Hand. Er hat das Wort in der Kajüte, in der sie zu dritt um einen Tisch sitzen und auf einen Vierten warten, der Boxer heißt. Der Käpt'n sieht warm eingepackt aus, in seinem dicken Sweater und der Weste. Die anderen zwei tragen karierte Hemden. Einer von beiden war gerade draußen, über die Reling kotzen. Mit einem Faden davon am Kinn kehrt er zurück. Der Kapitän will weitererzählen. "Wo waren wir?" - "Die Frau war unbekleidet und du sagtest: Halt!" - "Ich sagte: Halt!" Er lässt dann keine Einzelheit mit der unbekleideten Frau aus, die anderen gieren danach. Unangenehme, arme Schweine. Sie warten immer noch auf den Boxer. Er sollte Essen besorgen. Dann ist er da. Tropfend nass und ausgeraubt. Er konnte gerade noch bis zum Schiff schwimmen. Sagt er. Der herrschsüchtige Rollkragenkapitän gibt ihm Backpfeifen und Kopfnüsse. Alle gehen an Land, das Geld zurückzuholen. An Land ist alles wie an Bord. Logisch. Männer sitzen in der Kneipengemeinschaft und starren stumm auf Rammelfilme. Kälte, Rauchschwaden, Geschäfte, russische Angebote in einem Laden, obszön wirkende T-Shirt-Büsten, zwei tanzende Männer. Ein Suppenesser, eine rauchende Frau hinter einer Scheibe - davon kann einer der Bootsleute seinen Blick kaum wenden. Der Boxer zeigt plötzlich auf die Diebe, noch plötzlicher erschlägt der Kapitän einen dieser Männer, und flink schultert der Boxer die schöne, geschminkte Frau, die bei den Verfolgten war. Sie wird die Gefangene des Boxers und des Bootes. Er macht alles mit ihr. Ein anderer auch. Der Zuschauer ist dabei genauso machtlos wie sie. Der Film entwickelt die Gefangene nicht zu einer ganz bestimmten Person mit ganz bestimmten Eigenschaften. Auf dieser Seite ist die Tür hier zu. Die Frau ist die Frau. Reden und handeln können allein die Männer. Sie geraten dabei in ihre eigene Denkfalle. Denn die Frau war keine Hure, sondern eine Jungfrau. Also ehrbar, also ein Mensch, der vielleicht von der Polizei gesucht werden könnte. Also will der Boxer die Frau über Bord werfen. Der Kapitän rettet sie fürs Erste. Nur: Er hat den Totschlag vergessen, weil er ein gedächtnisloser Premierminister ist, der zu viel säuft und kifft und nie weiß, was eben noch war. Er ist ein Premierminister, der um Gesetz und Ordnung jammert, gegen den die Männer jetzt ankommen könnten und der selbst eine Bluttat auf dem Konto hat. - Was für eine Katastrophe bahnt sich an? Der Film steigert unaufwändig, schlicht, olivfarben und in kürzer werdendem Takt die Angst vor dem, was im Bereich des Möglichen liegt. Diese Türkei ist ein rostiger Eisenkahn, mit zwei Auslegern und zwei Baggermäulern dran. Die Türkei schaufelt Sand aus dem Meer. Ihre Männer sind kaputt. In so einem Land können Männer und Frauen, können Menschen nicht frei und auf gute Weise zusammenkommen. Es gibt wenig Schönes auf diesem Schiff, das der Film manchmal aus etwas Abstand betrachtet. Allenfalls das rosagoldene Licht, wenn das Wasser aus den Baggermäulern stürzt, oder das unzerstörbare Gesicht, das unzerstörbare blaue Trägerkleidchen der Frau. Am Ende lautet der Beschluss: Hoffnung. Es hätte auch anders kommen können. - Serdar Akar, so viel doch noch von woanders her, stammt aus Ankara, ist Mitte dreißig, absolvierte ein Fernseh- und Filmstudium, arbeitete als Regieassistent, und dies ist sein erster eigener Spielfilm. An Bord (Gemide) Türkei 1998. Regie: Serdar Akar. Drehbuch: Serdar Akar, Önder Cakar. Mit Erkan Can, Naci Tasdögen, Yildray Sahinler, Haldun Boysan, Ella Manea. 110 Minuten, Farbe.
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