Süddeutsche Zeitung, 11.3.2000 Schily für flexiblere Gewährung von Asyl München (SZ) - Bundesinnenminister Otto Schily erwägt, bei der Asylgewährung das bisherige juristische Verfahren und neue Härtefallregelungen miteinander zu kombinieren. In einem SZ-Interview spricht der Sozialdemokrat im Zusammenhang mit dem Kirchenasyl von Möglichkeiten, humanitäre und moralische Erwägungen nicht erst nach dem formellen Abschluß des Asylverfahrens einzubeziehen. Vorwürfe, dass er aus dem Asylrecht ein Gnadenrecht machen wolle, bezeichnet Schily als "Unfug". Die Frage sei aber, ob jede Hilfegewährung für Flüchtlinge wirklich an ein Klagerecht gebunden werden solle. Im Gerichtsverfahren stecke immer "eine gewisse Starre". Man müsse zu mehr Flexibilität bei der Asylgewährung kommen. "Ich will aus dem Asylrecht nicht ein Gnadenrecht machen" Otto Schily (SPD) zum CDU-Spendenskandal, zur Diskussion um die "Green Card" und zum Schutz für Flüchtlinge SZ: Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl glaubt, er könne mit den Spenden, die er für seine Partei sammelt, den angerichteten Schaden ungeschehen machen. Was sagen Sie als Verfassungsminister dazu? Schily: Das ist ein Trauerspiel. Wir sollten schon anerkennen, dass Kohl als Kanzler in der Europapolitik große Erfolge hatte. Umso schlimmer ist, dass er sein Ansehen mit den Verhaltensweisen aufs Spiel gesetzt hat, die er jetzt an den Tag legt. Es geht ja nicht um einen Verstoß gerade mal gegen ein Parkverbot; es geht nicht nur um einen Gesetzesverstoß, sondern um einen Verfassungsverstoß. SZ: Worin genau sehen Sie den? Schily: Das Bundesverfassungsgericht hat klar und deutlich gesagt, welch zentrale Bedeutung die Rechenschaftspflicht und das Transparenzgebot für die Demokratie haben. Dies ist nicht ein Gebot unter vielen. Es ist strikt untersagt, anonyme Spenden entgegenzunehmen. SZ: Ist der ein Ehrenmann, der auf sein den anonymen Spendern gegebenes Ehrenwort pocht? Schily: Kohl ist starrsinnig. Wer einen solchen Begriff verwendet, um sich von verfassungsrechtlichen Verpflichtungen freizuzeichnen, der bewirkt einen großen Schaden auch im Rechtsbewusstsein des Volkes. Und den macht er nicht dadurch wieder gut, dass er jetzt eine Kollekte veranstaltet und eine Art Ablasshandel betreibt. SZ: Verstehen Sie die Leute, die jetzt Spenden an Kohl zahlen? Schily: Ich wüsste bessere Spendenkonten, zum Beispiel Hilfe für Mosambik oder terre des hommes. SZ: Kann es denn richtig sein, dass der Staat diese Sechs-Millionen-Spendensammelei auch noch dadurch unterstützt, dass er drei Millionen aus der Staatskasse drauflegt - weil im Parteiengesetz steht, dass es für jede Spendenmark fünfzig Pfennig Zuschuss gibt. Schily: Ich bin im Zweifel, ob es sich um Parteispenden handelt. Sind es nicht eher schenkungssteuerpflichtige Zuwendungen? SZ: Sie waren seinerzeit Vorsitzender im Flick-Untersuchungsausschuss. Als Folge der damaligen Ermittlungen wurde das neue Parteiengesetz erlassen. Offensichtlich haben führende Vertreter der CDU von vornherein vorgehabt, sich nicht daran zu halten. Schily: Ich habe damals in das Schlusskapitel des Untersuchungsausschuss-Berichts einen Satz geschrieben: "Die beste Empfehlung, die ich geben kann, ist die, dass sich die Parteien künftig an die Gesetze halten." Die CDU hat es nicht getan, obwohl einige ihrer führenden Politiker schon damals nur knapp strafrechtlichen Sanktionen entronnen sind; ihnen kam die Verjährung zu Hilfe. SZ: Damals gab es, wie sich jetzt herausgestellt hat, massive Versuche, die Aufklärungsarbeit zu verhindern. Schily: Es ist wirklich ein dramatischer Vorgang, wenn Herr Lüthje . . . SZ: . . . der Vertraute des Kanzlers . . . Schily: . . . sagt, man habe auf ihn eingewirkt, nicht die Wahrheit zu sagen; ähnlich auch im Falle des Herrn von Brauchitsch. SZ: Beseitigt Kohls neue private Spendensammlung sein früheres rechtswidriges Verhalten? Schily: Ich will mich nicht in die Arbeit der Bonner Staatsanwaltschaft einmischen. Nur ganz allgemein will ich sagen, so weit reichen meine strafrechtlichen Kenntnisse, dass die nachträgliche Wiedergutmachung eines Schadens den Straftatbestand nicht beseitigt. SZ: Die Franzosen sind sehr erstaunt, wie die Deutschen die Affäre handhaben, wie kritisch sie mit einem verdienten Staatsmann wegen seiner Delikte umgehen. Sind die Deutschen zu gründlich? Schily: In Deutschland hat man seine Erfahrungen gemacht in der Weimarer Republik . . . SZ: . . . als die Hochfinanz und die Industrie Hitler mit vielen Millionen den Weg zur Macht geebnet haben . . . Schily: . . . deshalb hat das Grundgesetz gesagt, dass Klarheit herrschen soll darüber, wer wie viele Spenden leistet. Zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht daher der Transparenz so große Bedeutung beigemessen. SZ: Welche Gesetzesänderungen sind jetzt notwendig? Schily: Ich bin für eine Diskussion darüber offen. Aber sie darf nicht zum Ablenkungsmanöver werden - es darf nicht so getan werden, als läge es an der Unklarheit der Gesetze oder den fehlenden Sanktionen, dass sich CDU-Granden rechtswidrig verhalten haben. SZ: Diskutiert wird zum Beispiel darüber, strafrechtliche Sanktionen ins Parteiengesetz zu schreiben. Schily: Über solche Straftatbestände kann man nachdenken. Nur: Ich warne ausdrücklich vor jeder Diskussion, die das Geschehene in einem milderen Licht erscheinen lässt. SZ: Können Sie den Verdacht, Politik sei käuflich, nachvollziehen? Schily: Ich warne vor Pauschalisierungen und davor, von einer Krise der Demokratie zu sprechen. Das ist die Krise einer einzigen Partei. SZ: Ganz koscher waren ja die Geschichten der SPD in Nordrhein-Westfalen oder von Ex-Ministerpräsident Glogowski in Niedersachsen auch nicht. Schily: Das kann man wirklich nicht mit dem CDU-Parteispendenskandal vergleichen. Persönliche Verfehlungen kann es auch in der Politik geben, es werden ja keine Heiligen gewählt. SZ: Jetzt sind Sie aber ganz schön milde! Gilt Ihre Nachsicht auch Ihrem Vorgänger Kanther? Schily: Ich hätte nie gedacht, dass ein Mann wie Kanther, der in seiner ganzen Statur und Denk- und Sprechweise als integre Persönlichkeit erschienen ist, sich für einen Vorgang hergegeben hat - der abscheulichste der ganzen Spendenaffäre - bei dem die Legende mit den jüdischen Vermächtnissen gebildet wurde. SZ: Themenwechsel. Kommen wir zur Green Card. Werden die 30 000 Computer-Spezialisten, die der Bundeskanzler ins Land holen will, eine befristete oder unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bekommen? Schily: Ich lasse offen, ob man eine Aufenthaltserlaubnis befristet oder nicht, auch, ob Green Card überhaupt der richtige Ausdruck ist. Unser Ausländerrecht eröffnet jedenfalls solche Möglichkeiten der Anwerbung von Fachkräften. Es kommt darauf an, das möglichst unbürokratisch zu gestalten - wir brauchen eine klare Ansage aus den Firmen, die die Fachkräfte benötigen - und zwar nicht nur mit Zahlen, sondern auch mit Namensnennung. Dann werden wir die Einreise organisieren. SZ: Die CDU fordert "Kinder statt Inder", die Ausbildung eigener Fachkräfte. Schily: Diese Parole ist unsinnig und überhaupt keine Antwort auf die aktuellen wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Es ist natürlich richtig, dass wir den Bedarf eigentlich aus unserem eigenen Ausbildungssystem decken müssten. Nur: Die Versäumnisse der Vergangenheit kann die Bundesregierung nicht in ganz kurzer Zeit aufholen. SZ: Vor gut einem Jahr sprachen sie von den "Grenzen der Belastbarkeit", die bei der Zuwanderung schon überschritten seien. Und jetzt betreiben Sie Anwerbung? Schily: Dass es Grenzen der Belastbarkeit gibt, kann doch niemand ernsthaft bestreiten. Das gehört zu einer offenen und vorurteilsfreien Diskussion. Wir haben eine Zuzugs-Größenordnung von derzeit jährlich 260 000 Menschen - 100 000 Asylbewerber, 100 000 Aussiedler, 60 000 Menschen im Wege des Familiennachzugs. Mit den Belastungen, die daraus entstehen, werden in erster Linie die Einkommensschwächeren konfrontiert. Deshalb müssen wir ein Gesamtkonzept für die Gestaltung von Zuwanderungspolitik erreichen, das darauf hinarbeitet, dass diejenigen, die bei uns leben und arbeiten, integriert werden und wir andererseits versuchen, den Migrationsdruck abzuschwächen, auch durch Unterbindung illegaler Zuwanderung. SZ: Damit formulieren Sie schon den ersten Absatz der Begründung eines Zuwanderungsgesetzes. Schily: Ich bin für diese Frage offen. Nur: Was steht in den bisher vorliegendenGesetzentwürfen drin? Dass sich eine Kommission zusammensetzt und nach bestimmten Kriterien entscheidet, welche Quoten festgesetzt werden. Ich sage voraus, dass solche Quoten nicht starr handzuhaben sind. Es muss eine gewisse Flexibilität geben, es dürfen daraus nicht wieder umfangreiche Verfahren, möglicherweise gar Gerichtsverfahren entstehen. Manche sagen, wir hätten einen jährlichen Bedarf von 70 000 oder 80 000, andere sagen größer, andere kleiner - man muss die Sache erst einmal ordnen, dann wird man sehen. Möglicherweise lässt sich auf diese Weise eine gewisse Abschwächung auch des Zuwanderungsdruckes im Bereich der illegalen Migration erreichen. Aber, wie gesagt: Ob zu all dem ein Zuwanderungsgesetz wirklich erforderlich ist, bedarf sorgfältiger Prüfung. SZ: Sind Sie auch offen für eine weniger restriktive Handhabung des Asylrechts. Deutschland ist eines der wenigen Länder, das nichtstaatliche Verfolgung nicht als Asylgrund anerkennt. Schily: Die Einbeziehung der nichtstaatlichen Verfolgung in ein Recht auf Asylgewährung würde zu einer Ausuferung der Verfahren führen. Ich hoffe aber, dass es zu Regelungen kommt, die europaverträglich sind. Dafür brauchen wir sicher noch einige Zeit. Ich muss aber gleichzeitig darauf hinweisen, dass bei uns nichtstaatliche Verfolgung auch jetzt in bestimmten Fällen als Abschiebehindernis bewertet wird. SZ: Bei der EU-Konferenz in Tampereim Oktober 1999 war nicht nur von der Abwehr der Flüchtlinge, sondern auch von ihrem Schutz die Rede. Wie weit sind die Bemühungen gediehen, gemeinsame Schutzstandards, Mindestgarantien für Flüchtlinge zu finden? Schily: Das ist mühsam, die Formel "Mindeststandards" ist auch etwas schwierig. Ich bin für eine Harmonisierung des europäischen Systems der Asylgewährung und der Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen. Und auch für eine abgestimmte Politik, was die Zuwanderung angeht. SZ: Sie haben einmal gesagt, das deutsche Asylgrundrecht stünde der Harmonisierung im Weg. Schily: Ich habe mir damit genügend Kritik eingefangen. Ich habe im Moment nicht die Absicht, diese Diskussion fortzuführen. SZ: Sie bleiben aber bei Ihrer damaligen Meinung? Schily: Ich will keine Missverständnisse wecken, die dann nur zu einer Auseinandersetzung mit polemischen Begriffen führt. Man muss die Fragen grundsätzlich aufarbeiten. SZ: Also erklären Sie missverständnisfrei, was Sie wollen. Schily: Es wird mir immer vorgeworfen, ich wolle aus dem Asylrecht ein Gnadenrecht machen. Das ist Unfug. Die Frage ist, ob Hilfegewährung wirklich an ein Klagerecht gebunden werden soll - in Gerichtsverfahren steckt immer eine gewisse Starre. Die Frage ist, ob man nicht zu mehr Flexibilität kommen kann. SZ: Mehr Flexibilität durch weniger Asylrecht? Schily: Einen Kern von rechtlichen Verfahren können wir schon aus völkerrechtlichen Verbindlichkeiten gar nicht beseitigen. An die Flüchtlingskonvention müssen wir uns halten. Sie verleiht einen Rechtsstatus mit den entsprechenden Rechtsverfahren, die sich daran anschließen. SZ: Es gibt auch das Grundgesetz, in dem im ersten Absatz des Artikels 16 a nach wie vor steht: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Schily: Vielleicht gibt es die Kombination von rechtlichen und sonstigen Verfahren. SZ: Was meinen Sie genau? Schily: Wir haben bekanntlich einen Streit um das sogenannte Kirchenasyl. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, dass man die Erwägungen, die aus einem solch moralisch engagierten Personenkreis eingebracht werden können, nicht erst nach Abschluss eines rechtlichen Verfahrens einbezieht. Darüber denke ich nach. SZ: Härtefallregelungen ließen sich auch mit dem geltenden Recht kombinieren. Schily: So ist es. SZ: Also zwei Säulen: Da ist zum einen das juristische Verfahren, basierend auf Asylgrundrecht und Flüchtlingskonvention. Daneben gibt es eine Säule, Möglichkeiten, wo caritative Organisationen sagen können . . . Schily: Ich habe das schon so angedeutet. Aber ich möchte nichts vorwegnehmen, bevor die Überlegungen zu Ende gediehen sind. Sie wissen, mit welchen Untiefen die Diskussion verbunden ist. Man muss in der Mitte der Straße bleiben. SZ: Noch einmal zum besseren Verständnis: Auf der einen Seite soll es künftig das juristische Verfahren geben - auf der anderen Seite könnte es einen Akt humanitären Wohlwollens geben? Schily: Belassen wir es in der offenen Form, die ich formuliert habe. Wie gesagt: Ich denke über solche Verbindungen nach. Das Interview führten Hans Werner Kilz und Heribert Prantl
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