Frankfurter Rundschau, 11.3.2000 Leyla Zanas Tabubruch Im Blickpunkt: AI fordert Freilassung türkischer Kurden-Politiker Von Gerd Höhler (Athen) Bei den Wahlen vom 20. Oktober 1991 wurde Leyla Zana ins türkische Parlament gewählt. Doch statt im Plenarsaal sitzt die kurdische Politikerin seit nun sechs Jahren in Haft. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) fordert jetzt erneut die Freilassung Zanas und weiterer Kurden-Politiker. Auf Türkisch, wie es die Verfassung vorschreibt, leistete Leyla Zana Ende 1991 bei der feierlichen Eröffnungssitzung der Großen Nationalversammlung ihren Amtseid. Doch dann fuhr sie in ihrer Muttersprache Kurdisch fort: "Ich habe diese Formalität unter Zwang erledigt; ich werde dafür kämpfen, dass das kurdische und das türkische Volk friedlich in einem demokratischen Rahmen zusammenleben können." Tumult brach aus im Plenum. Leyla Zana hatte im Parlament in der verbotenen Sprache gesprochen und so ein Tabu gebrochen. "Mein Verbrechen bestand darin", sagte sie später, "dass ich auf Kurdisch zur Freundschaft zwischen Türken und Kurden aufrief." Sofort wurden Ermittlungen gegen Leyla Zana und weitere kurdische Abgeordnete eingeleitet und 1994 ihre Immunität aufgehoben - nicht zuletzt auf Druck der Polizeikräfte. Zana und fünf andere Kurden-Politiker wurden aus dem Parlament heraus verhaftet. Wegen "Hochverrats, Separatismus und Angriffs auf die Integrität des Staates" wurden sie im Dezember 1994 zu 15 Jahren Haft verurteilt. An der repressiven Kurdenpolitik hat sich seither wenig geändert, trotz der türkischen Europa-Ambitionen. Einer Delegation des EU-Parlaments verweigerte die türkische Regierung vergangenen Monat einen Besuch bei der Gefangenen Leyla Zana. Der gemäßigten pro-kurdischen Hadep-Partei droht ein Verbot. Hadep-Chef Ahmet Turan Demir und 17 weitere Parteifunktionäre wurden im Februar zu langjähriger Haft verurteilt. Dass EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen am Donnerstag in Istanbul ausdrücklich die Defizite im Umgang mit der kurdischen Minderheit ansprach, dürfte auf den türkischen Premier Bülent Ecevit wenig Eindruck gemacht haben. Der verbat sich schon im Zusammenhang mit den in Europa scharf kritisierten Verhaftungen kurdischer Bürgermeister jede ausländische Einmischung. Amnesty International fordert in dem am Freitag veröffentlichten Aufruf nicht nur die sofortige Freilassung der inhaftierten kurdischen Parlamentarier. AI will auch klären, ob die vorläufig freigelassenen kurdischen Bürgermeister während des Polizeigewahrsams gefoltert wurden, wofür es nach Aussage ihrer Anwälte Anhaltspunkte gibt.
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