Tagesspiegel, 11.3.2000 Krach zwischen EU und Ankara Kommissar Verheugen zu Gesprächen in der Türkei Thomas Seibert Mit verschränkten Armen und skeptischem Blick hörte der türkische Außenminister Ismail Cem zu, was sein Gast zu sagen hatte. EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen lobte am Freitag nach dem Abschluss seiner Unterredungen mit der türkischen Regierung in Ankara die Türkei zwar als "Schlüsselstaat", doch die Differenzen mit seinen Gesprächspartnern waren unübersehbar. Verheugen war nach Ankara gekommen, um über die weiteren Schritte bei der Heranführung der im Dezember zur EU-Beitrittskandidatin gekürten Türkei an die Europäische Union zu sprechen. Doch statt zufriedener Mienen und gemeinsamer Positionen gab es Krach. Ministerpräsident Bülent Ecevit sprach nach seinem Treffen mit Verheugen offen aus, was viele in seiner Regierung denken: Die EU betrachte die Türkei trotz der Anerkennung der Kandidatur beim Gipfel von Helsinki nicht als gleichwertig mit den anderen Beitrittsbewerbern. In Teilen der Regierung in Ankara hat sich in den vergangenen Monaten eine Stimmung breit gemacht, die sich auf die Formel bringen lässt: Die Europäer wollen die türkische EU-Bewerbung nur dazu benutzen, sich in innere Angelegenheiten einzumischen. So registrierten Regierungsmitglieder mit Unmut, dass offizielle Besucher aus der EU zuerst mit Menschenrechtlern und Kurdenpolitikern zusammentrafen und erst dann Gespräche mit der türkischen Regierung aufnahmen. Deshalb wählte Ecevit deutliche Worte, als er mit vor Zorn bebender Stimme die Forderungen Verheugens nach Reformen in der Kurdenpolitik Ankaras zurückwies: Verheugen habe vom "Kurdenproblem" gesprochen - aber, das gebe es überhaupt nicht, weil die Türkei ihre Staatsbürger nicht nach ethnischen Kriterien einteile. Das ist auch das Hauptargument Ankaras gegen die von den Europäern verlangten Minderheitenrechte für die Kurden. Auf diese Äußerungen des türkischen Premiers angesprochen, zeigte Verheugen, dass Ecevit nicht der Einzige war, der sich auf den Schlips getreten fühlte: "Bitte erlauben Sie mir, meine eigenen Begriffe zu verwenden", sagte Verheugen den türkischen Journalisten und sprach trotzig erneut vom "Kurdenproblem". Die Kurdenfrage ist nicht die einzige Schwierigkeit. Ecevit beschwerte sich auch darüber, dass die EU noch immer nicht jene Hilfsgelder in Höhe von mehreren Millionen Mark freigegeben hat, die der Türkei vor fünf Jahren beim Abschluss der Zollunion versprochen worden waren. Und bei der geplanten europäischen Verteidigungsidentität verlangt die Türkei volles Mitspracherecht, obwohl sie kein EU-Mitglied ist. Nach den Worten Verheugens soll für die Türkei bald der sogenannte Beobachtungszeitraum beginnen, in dem EU-Kandidaten vor der Ausarbeitung einer Beitrittsstrategie von Brüssel unter die Lupe genommen werden. Trotz der Zusicherung Verheugens, die Türkei werde behandelt wie alle anderen Kandidaten, fühlt sich Ankara auch hier benachteiligt: Ecevit warf der EU vor, den Beginn der Beobachtung und damit auch die spätere Mitgliedschaft seines Landes hinauszuzögern. Es stehen wohl schwierige Zeiten bevor, findet auch die Zeitung "Radikal", die in ihrem Bericht über Verheugens Besuch bilanzierte: "Die Flitterwochen mit der EU sind vorbei."
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