Frankfurter Rundschau, 11.3.2000 "Ohne Reformen droht Revolution" Im Gespräch: Zwei Expertinnen aus Iran zur Lage nach den Wahlen Sie suchen Zuflucht im Paradox, wenn sie von ihrer Heimat sprechen. "Iran ist wohl das einzige Land, in dem der Oppositions-Führer Staatspräsident ist", sagt die Anwältin Schirin Ebadi. "Mohammad Khatami ist Präsident. Das heißt nicht, dass er an der Macht ist", sagt die Journalistin Parvin Ardalan. Beide meinen, nach dem Wahlsieg der Reformer müsse sich Teheran der Demokratisierung öffnen. Mit ihnen traf sich FR-Redakteur Edgar Auth zu getrennten Gesprächen. Wichtigste Frage nach den Wahlen in Iran ist, ob die Wähler dem Reformwillen des neuen Parlaments und des Präsidenten trauen können. Die Teheraner Anwältin Ebadi ist überzeugt, dass die Regierung an dem Wunsch der Bürger nach Öffnung und Demokratisierung nicht mehr vorbei kann. "30 Millionen Wähler zu ignorieren, wäre ein gefährliches Signal", warnt sie. Als Folgen wären Aufstand und Revolution möglich. Die Regierung Irans sei "klug genug, es nicht so weit kommen zu lassen, ... sie ist viel vernünftiger und pragmatischer als man denkt", glaubt die Universitätsdozentin. Das habe sich zuletzt gezeigt, als vor einem halben Jahr öffentlicher Widerstand ein restriktives Pressegesetz verhindert habe. Auch hat Präsident Khatami nach Ebadis Auffassung bislang noch nichts zur Verbesserung der Lage der Frauen unternommen. Nun aber hätten "neun von zehn Frauen" dessen Gefolgschaft gewählt und erwarteten Änderungen der "unerträglichen Gesetze" gegen Frauen. Anderenfalls würden sich die Frauen von ihm abwenden, prognostiziert die Juristin. Ebadi vertritt die Familie des ermordeten Oppositionspolitikers Dariush Forouhar. Dieser war Ende 1998 zusammen mit seiner Frau Parwaneh in Teheran getötet worden. Damals wurden acht Oppositionelle, alles Intellektuelle, ermordet. Als die Fragen nach den Tätern in Iran zu laut wurden, gestand das für den Geheimdienst zuständige Informationsministerium Anfang 1999 ein, dass Angehörige dieses Ressorts beteiligt gewesen seien. Vier Hauptverdächtige wurden verhaftet. Einer, Said Emami, nahm sich nach offiziellen Angaben im Gefängnis das Leben - eine Version, die Ebadi anzweifelt. Ermittlungsergebnisse gegen die übrigen wurden nicht veröffentlicht. Ebadi durfte bis heute die Akten nicht einsehen. Die Anwältin und die Angehörigen der Forouhars verlangen nun, das neue Parlament mit seiner Mehrheit aus Reformern solle sich selbst bei Morden an Prominenten per Gesetz für zuständig erklären. Auch müsse eine juristische Kommission aus den verschiedensten Bereichen des öffentlichen Lebens, darunter der Arbeitskammer und des unabhängigen Schriftstellerverbandes, eingesetzt und mit der Prozessbeobachtung betraut werden. Beides Forderungen, die sich gegen die Dominanz der Konservativen im Rechtswesen Irans richten. Nachdem der deutliche Wunsch der iranischen Öffentlichkeit nach Aufklärung der Mordserie wesentlich zum Wahlsieg der Khatami-Reformer beigetragen habe, könne das Parlament so seinen Reformwillen beweisen. Auch die Journalistin Parvin Ardalan gibt sich zweckoptimistisch. Sie schrieb für mehrere, mittlerweile teils verbotene Zeitungen wie Adineh, Zanan oder Second Sex. Ihr Optimismus fällt aber verhaltener aus als der Ebadis. Die Lage für Khatami sei schwierig. So müsse man erst abwarten, wie sich das Parlament tatsächlich verhalten werde. Es gebe dort verschiedene Gruppen, die ihre Haltung noch ändern könnten. Es sei möglich, dass sich bislang zu den Reformern gerechnete Politiker der Gruppe um Ex-Staatspräsident Haschemi Rafsandschani anschließen. Auch die Fundamentalisten seien wandlungsfähig. Für künftige Reformen sei zudem das Verhalten der wirtschaftlich Mächtigen entscheidend. Diese sieht Ardalan der Demokratie zugeneigt. Das Land stecke nach wie vor in einer ökonomischen Krise, beklagt die Journalistin. Die meisten Menschen lebten unter der Armutsgrenze. Zwei bis drei Jobs seien nötig, um sich über Wasser halten zu können. Die Jugend, zahlenmäßig stärkste Bevölkerungsgruppe, sehne sich nach Freiheit vor allem im Privatleben. "Bei uns ist das Privatleben öffentlich", sagt Ardalan. Sie spielt auf die islamischen Moralgesetze an, die Frauen am stärksten unterdrückten. "Wir können nicht wählen, was wir anziehen, wohin wir reisen, wo wir arbeiten", fasst sie zusammen. Präsident Khatami sei für die Mehrheit des Volkes so etwas wie die letzte Hoffnung. Er könne das alles ändern. Das Volk vertraue ihm. Und Ardalan ist zuversichtlich, dass geschehen wird, was nach dem Willen der reformhungrigen Mehrheit geschehen muss.
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