Frankfurter Rundschau 14.3.2000 Die Methode Versuch und Irrtum Deutschlands Außenpolitik und die internationalen Personalquerelen: Eine Richtungsdebatte ist überfällig Von Richard Meng (Berlin) Wenn Joschka Fischer einsilbig wird, ist das immer ein Zeichen. Dann sind Fragen berührt, die entweder zu heikel sind oder noch zu ungeklärt - oder beides. Dann glaubt der Sprachgewandteste im rot-grünen Kabinett, dass öffentliches Reden eine Sache nur schwieriger machen würde. Oder er zwingt sich zur Loyalität, weil sowieso nichts mehr zu retten ist. Seit die internationalen Personalquerelen um die deutschen Kandidaten für den Spitzenposten beim Internationalen Währungsfonds (IWF) für die Berliner Regierung immer peinlicher werden, ist der Außenminister besonders bemüht schweigsam. Fischer engagiere sich "im Hintergrund", betont seine Umgebung. Er sagt nichts nach außen und weiß genau, dass im Fall eines möglichen schlechten Endes nicht der Kanzler allein im Regen stehen wird, sondern der Außenminister mit ihm. Wieder mobilisierten die US-Amerikaner gegen den deutschen IWF-Kandidaten, der jetzt Horst Köhler heißt. Aber zunehmend zeigt sich, dass nicht nur ein einziges, isoliertes Personalproblem die Stimmung trübt. Professionalität und Grundrichtung der Außenpolitik stehen in Frage. Es ist nicht die erste außenpolitische Stimmungskrise seit Regierungsübernahme. Es ist auch nicht das erste Mal, dass die Rot-Grünen sich darüber ärgern, wie schnell in den deutschen Medien auf die eigene Regierung eingeprügelt wird, statt das trickreiche, von den Berlinern als unfair empfundene Machtspiel anderer anzuprangern. Der Kanzler verweist neidisch auf die Auslandspresse, die in solchen Fragen immer wie selbstverständlich auf der Regierungslinie bleibe. Aber alle diese Reflexe in Öffentlichkeit und Politik sind auch ein Zeichen mangelnder Orientierung. Über die handwerklichen Fehler wird deshalb so viel geredet, weil größere Linien nicht erkennbar werden. Auch im Regierungslager wird eingeräumt, dass es mit internationalen Kandidaturen leichter wäre, wenn eine Strategie dahinter stünde - und nicht nur die Parole: Hauptsache ein Deutscher. Aber ein klares Bild von der künftigen Rolle Deutschlands fehlt. "Normalität" herzustellen, sind sie angetreten - nach den Jahren unter Helmut Kohl, in denen Außenpolitik mehr über Männerfreundschaften und private Steckenpferde (wie Klaus Kinkels Wunsch nach einem deutschen Sitz im Weltsicherheitsrat) betrieben wurde. Aber sichtbar war manchmal nur neue Hemdsärmeligkeit. Gerhard Schröders Wort vom "Verbraten" der EU-Gelder hatte die Europäer frühzeitig hellhörig gemacht. Der ungeschickt-brüske Umgang mit Russlands Premier Jewgeni Primakow nach seinem gescheiterten Vermittlungsversuch im Kosovo-Krieg hat Moskau irritiert. Der Kanzler-Vertraute Bodo Hombach wurde den Partnern als Beauftragter für den Balkan-Stabilitätspakt regelrecht aufgedrückt. Der Bundestag fühlte sich vom Außenminister übergangen, als Joschka Fischer den UN eine Sanitätseinheit für Ost-Timor zusagte. Der Test-Panzer für die Türkei wurde vom Kanzleramt durchgedrückt, ohne die Risiken für die Koalition vorher ausreichend abzuwägen. Im Gerangel um die IWF-Kandidatur entsteht der Eindruck, dass den Deutschen die Schuhe viel zu groß sind, in die sie neuerdings so gerne schlüpfen. Da gibt es zum einen die handwerkliche Seite, bei der manches Problem altbekannt ist. Schon unter Kohl galt der außenpolitische Berater im Kanzleramt (der damals Joachim Bitterlich hieß) als der heimliche zweite Außenminister. Schon damals hat das Außenamt diesen Eindruck trotz aller realen Konkurrenzen zwar bestritten. Aber die international übliche Arbeitsteilung zwischen "Chefsache" (da ist das Kanzleramt zuständig) und normalem diplomatischen Geschäft führte schon in Bonn zu Informationsmängeln. Es war jetzt allein die strategische Entscheidung des Kanzleramts, beim IWF-Spitzenposten knallhart auf deutsche Kandidaten zu setzen, mag das zuständige Fachressort (hier nicht das Außen-, sondern das Finanzministerium) sich auch wundern. Das Symbol sollte her, und sei es mit Gewalt. Das Neue soll sein: Diese Deutschen wollen was. Doch die Fragen, die das aufwarf, waren andere. Mangelt es bei Schröder und seinem außenpolitischen Berater Michael Steiner an politischem Instinkt und an Erfahrung? Verstärkt Steiner beim Versuch der Einflussnahme Verwerfungen, die er besser dämpfen sollte? Hat Fischer international doch nicht so viel Renommee aufgebaut, wie es in den ersten Monaten schien, als die Deutschen turnusmäßig den Vorsitz in EU und G 8 hatten und schon deshalb für wichtig genommen werden mussten? Sie tun weiter wichtig. Aus Sicht des Auswärtigen Amtes geht es jetzt darum, gegenüber den USA den außenpolitischen Spielraum Europas zu erstreiten. "Da müssen wir durch", meint Fischer, "denn es hat keinen Sinn, klein und bescheiden sitzen zu bleiben." Ein Prozess des Einübens also, bei dem nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum Rückschläge unvermeidbar sind, wenn am Ende (Prinzip Hoffnung) nur mehr, nicht weniger europäische Gemeinsamkeit steht. Schon den Kosovo-Krieg hat Fischer als Teil eines europäischen Selbstfindungsprozesses gesehen. Neuerdings betont er häufiger geostrategisches Denken: deutsche Interessen, mit Russland trotz Tschetschenien ein auskömmliches Verhältnis zu bewahren; deutsche Interessen, Iran auf dem Weg zu einer rationalen Ordnungsmacht zu helfen. Über die Widersprüche einer derart "normalisierten" Außenpolitik, die Gefahr des Unterpflügens von Ethik und Moral, wird nirgends tiefschürfend debattiert. Die Republik nimmt Politik über Affären wahr und Außenpolitik immer noch über Querelen zwischen Staatslenkern: französische Verärgerung über grüne Atomausstiegspolitik, türkische Waffenwünsche und US-amerikanisches "Supermachtgehabe" stören die neue deutsche Selbstzufriedenheit. "Aber unser Horizont beschränkt sich auf Europa", meint Karl Lamers, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, "während die meisten wirklich großen Probleme von außerhalb kommen. Da mangelt es schlicht an Nachdenken." Überall, nicht nur bei der Regierung. Dass die Deutschen in internationalen Organisationen nicht den Einfluss haben, der ihnen von Größe und Wirtschaftskraft des Landes her zustehen könnte, haben auch Kohl und Kinkel gelegentlich bedauert. Aber so ungeschminkt wie heute kam das Argument nie daher. Nur eine von vielen offenen Fragen ist dabei die nach dem transatlantischen Verhältnis. Das unfertige Europa mit seinen "Nationalstaaten im Übergang" (Fischer) muss sein Verhältnis zur fertigen Macht USA neu finden - während, so der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler, bislang aber auch in Europa "alle noch ihre eigenen Spielchen treiben". Die Kernfrage aber ist die nach dem Verhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit - und die reicht weit in die Innenpolitik hinein. Lamers zählt dazu lang bekannte Stichworte auf. Sprachbarriere, erstarrtes Bildungswesen, unbewegliches Beamtenrecht: Wer mehr Einfluss wolle, sagt er, und das als nationales Interesse definiere, müsse sich öffnen. Nationales Interesse? Das ist noch so ein neuer Begriff für ein Land, das sich gerade wundert, was der abgetretene "Kanzler der Einheit" so alles überdeckt hat. Aber was Lamers sagen will, lässt sich auch weniger ideologieverdächtig ausdrücken: Es darf sich nicht nur um Schröders oder um Fischers Interesse handeln, es ist spätestens jetzt eine Debatte fällig. Mit den Worten eines führenden Außenpolitikers: "Die Sicht des vereinigten Deutschlands auf die Welt und die Sicht der Welt auf das vereinigte Deutschland sind sehr auseinander."
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