HANDELSBLATT, 17.3.2000 Alle Parteien fordern Rückkehr zur Sachlichkeit in der Ausländer- und Asylpolitik Bundesregierung will "kurzfristig" kein Einwanderungsgesetz ap BERLIN. Die Bundesregierung plant kurzfristig kein Einwanderungsgesetz. Die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Cornelie Sonntag-Wolgast, erklärte am Donnerstag im Bundestag in Berlin, "dafür brauchen wir Zeit und möglichst die Einbettung in den europäischen Rahmen". FDP-Chef Wolfgang Gerhardt plädierte dafür, den von der FDP eingebrachten Entwurf für ein Einwanderungsgesetz in den Ausschüssen neu zu beraten und gemeinsam zu verabschieden. Ein CDU-Antrag, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, auf eine Harmonisierung des europäischen Asylrechts zu drängen, wurde von Vertretern aller anderen Fraktionen abgelehnt. Vertreter aller Parteien sprachen sich dafür aus, die Debatte über die Ausländer- und Asylproblematik zu versachlichen. Gleichwohl versuchte die Unionsfraktion gegen Mittag, Bundesinnenminister Otto Schily ins Plenum zu zitieren, der in München beim Starkbieranstich weilte und sich von Sonntag-Wolgast vertreten ließ. Die Union bekam dafür aber keine Mehrheit. In der Debatte distanzierte sich der SPD-Abgeordnete Rüdiger Veit von der Äußerung seines Parteifreundes Schily, die Kapazität der Bundesrepublik zur Aufnahme von Flüchtlingen sei überschritten, und verwies darauf, dass Deutschland bei der Aufnahme von Asylbewerbern in Europa erst an achter Stelle stehe, gemessen an der Bevölkerungszahl. Veit warf der Union vor, ihr gehe es in Wirklichkeit nicht um eine Harmonisierung, sondern "offensichtlich um die Abschaffung des individuellen, subjektiven Grundrechts auf Asyl". Das lehne die SPD ab. Auch der Spitzenkandidat der nordrhein-westfälischen CDU, Jürgen Rüttgers wolle mit seinem Plädoyer für "Kinder statt Inder" an die Computer "den Wolf der ausländerfeindlichen Gesinnung unter dem Schafspelz der europafreundlichen Gesinnung verbergen". Der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach meinte, alles deute "nicht auf Begrenzung, sondern auf stärkeren Zuzug hin". Deutschland trage eine "Last, die es auf Dauer nicht ertragen kann". Weiterer Zuzug "ist in aller Regel nicht integrationsfördernd, sondern integrationshemmend", meinte er. Er versprach allerdings, die Unionsfraktion werde die von Bundeskanzler Gerhard Schröder angeregte begrenzte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für ausländische Computerexperten "vorurteilsfrei angehen". FDP will weit reichendere Debatte Gerhardt bescheinigte der Union, wenn sie zu ihren Regierungszeiten dem Problem so aufgeschlossen gegenüber gestanden hätte wie in den jüngsten Tagen, hätte sie mit der FDP ein Zuwanderungsgesetz verabschieden können. Er plädierte für eine "nationale Regelung, die Kontingente umfasst", statt auf EU-einheitliche Regeln zu warten. "Das Vokabular ist nicht die Streitfrage", sagte der FDP-Chef, der versuchen wollte, "eine Debatte zu führen, die nicht nur immer bei Segmenten endet" wie dem Asylrecht oder der Green Card. Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne), verlangte, die Diskussion "nicht mit der Grundhaltung der Abwehr" zu führen. "Alle wissen, ob wir Migration wollen oder nicht, dass wir sie haben werden." Es komme auf die "Gestaltung von Zuwanderung, nicht auf die Begrenzung von Zuwanderung" an. Für die PDS kritisierte Ulla Jelpke, dass die Bundesregierung bisher keine Vorstellungen zu einem Einwanderungsgesetz vorgelegt habe. Der Union warf sie eine "menschenverachtende und inhumane" Ausländerpolitik vor. |