SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.6 vom 16.03.2000,

Internationale der Flüchtlinge

Flüchtlingskongress in Jena zur Selbstorganisation geplant

Eine "neue Internationale" sieht Viraj Mendis in den Flüchtlingslagern der Ersten Welt entstehen. "Flüchtlinge aus der ganzen Dritten Welt kommen hier im Zentrum der imperialistischen Länder zusammen, zwar nicht aufgrund einer gemeinsamen Ideologie, sondern wegen gemeinsamer materieller Erfahrungen." Hierin stellt sich für Mendis, der vor acht Jahren aus Sri Lanka geflohen ist, der Kern des Marxismus dar: "Am Anfang steht die materielle Situation, erst dann kann ein gemeinsames Bewusstsein entstehen." Der 43-Jährige vom Internationalen Menschenrechtsverein in Bremen gehörte zu einer Gruppe von Flüchtlingen, die letzten Sommer ein Büro der nordrhein-westfälischen Grünen besetzten und dort einen Hungerstreik begannen. Der Menschenrechtsverein organisiert mit The Voice, einer afrikanischen Flüchtlingsorganisation, den Flüchtlingskongresses "Gemeinsam gegen Abschiebung und soziale Ausgrenzung" der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen, der vom 21.April bis zum 1.Mai in Jena stattfinden soll. Die Motivation, einen Flüchtlingskongress zu veranstalten, beruht laut Mendis aber nicht auschließlich auf den gemeinsamen Problemen der Flüchtlinge in der BRD, wie Rassismus, Abschiebung oder soziale Ausgrenzung. Sie kommen auch auf Grundlage der Probleme in ihren Herkunftsländern zusammen. Das sei auch ein Hauptaspekt des Kongresses, der sich in dem Slogan "Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört" manifestiere. Das Motto, unter dem die Karawane schon 1999 anlässlich des G7/G8-Gipfels in Köln protestierte, soll auch die Rolle der BRD deutlich machen. Der Aufruf zum Kongress betont einen direkten Zusammenhang "zwischen Deutschlands Wirtschafts- und Außenpolitik und dem Entstehen von Fluchtgründen". "Diesen Aspekt wollen wir noch stärker betonen, indem wir Gastredner aus den einzelnen Ländern eingeladen haben." Die thematischen Schwerpunkte für das Programm des zehntägigen Kongresses liegen neben der Auseinandersetzung mit Abschiebung und sozialer Ausgrenzung auch bei frauenspezifischen Fluchtursachen und der Situation von Migrantinnen. Rassismus und Sexismus werden als zusammenhängende Erscheinungen beschrieben, die nicht getrennt voneinander bekämpft werden können. Die OrganisatorInnen stellen daher als Anforderung an den Kongress, Umgangsformen zu entwickeln, die sicherstellen, dass "Frauen auch innerhalb der "Karawane" keine sexistische Aggression und Diskriminierung hinnehmen müssen". Die einzelnen Themengebiete des umfangreichen Programms werden von Karawanegruppen aus verschiedenen Städten vorbereitet. Dabei soll sich die Bearbeitung der Themen nicht in der Analyse oder Anklage der bestehenden Verhältnisse erschöpfen, sondern "jeweils der Frage breiten Raum geben, wie Gegenstrategien aussehen bzw. welche Ansätze von Widerstand aufgegriffen und weiterentwickelt werden können". Diese Erwartung formulierte ein Vorbereitungstreffen in Nürnberg an den Kongress. Am letzten Tag soll zudem noch ein gemeinsames Manifest mit einer Zusammenfassung der "wesentlichen Resultate, Einschätzungen und Forderungen" verabschiedet werden. Ein weiteres Thema für den Kongress, der im Wesentlichen von Flüchtlingen und MigrantInnen organisiert wird, ist die weitere Selbstorganisierung von Flüchtlingen. Viele Antirassisten sehen in der verstärkten Selbstorganisierung von Flüchtlingen einen Ausweg aus dem Problem paternalistischer Bevormundung von Flüchtlingen durch ihre mehrheitlich deutschen UnterstützerInnen. In antirassistischen Zusammenhängen ist zuletzt vor allem in Bezug auf das Wanderkirchenasyl über Paternalismus diskutiert worden. Paternalismus bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Unterstützung und Bevormundung; Im Handbuch zur Kampagne "Kein Mensch ist illegal" wird sie als "herrschaftliche Fürsorge" definiert. Erleichtert wird dies auch durch die Fixierung auf politische Fluchtursachen vieler Nichtregierungsorganisationen aus dem antirassistischen Bereich, die Armut oder wirtschaftliche Fluchtursachen nicht gleichermaßen anerkennen. Das trägt dazu bei, dass deutsche UnterstützerInnen ihre Vorstellungen und Erwartungen auf die Flüchtlinge projezieren. Diese spielen dabei nur noch die Rolle von Bittstellern ohne eigene Vorstellungen. Für Mendis stellt sich die Frage nach paternalistischem Verhalten bei den UnterstützerInnen augenblicklich jedoch nicht in dieser Schärfe. Die Frage nach Selbstorganisation sieht er eher als Notwendigkeit, als "negative Reaktion": "Wir müssen uns selbst organisieren, weil wir sonst kaum noch Unterstützer haben, nicht einmal die paternalistischen Unterstützer sind übriggeblieben." Am schwersten sei es, den Transport und die Unterkunft der Flüchtlinge zu organisieren, vor allem wegen dem fehlenden Geld, so Mendis. "Wir versuchen zwar Geld von linken Organisationen zu bekommen. Unglücklicherweise sind uns die Grünen nicht mehr wohlgesonnen, seit sie an der Regierung sind." Ein anderes Problem sind die Flüchtlinge, die illegalisiert sind und keine Papiere haben oder die der Residenzpflicht unterliegen. Diese verbietet, den ihnen zugewiesenen Landkreis zu verlassen. Für den Kongress muss die Residenzpflicht in großem Maße gebrochen werden. Wenn Flüchtlinge deswegen Probleme bekommen, werde die Kampagne sich für sie einsetzen und sie verteidigen: "Sei es finanziell, juristisch oder politisch." Hier könne die Karawane auf eine ganz gute Bilanz verweisen. Im Sommer 1998, kurz vor den Bundestagswahlen, zog die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen unter dem Motto "Wir haben keine Wahl, aber eine Stimme" durch die BRD. In über 40 deutschen Städten wurden Aktionen und Veranstaltungen von Flüchtlings- und Migranteninitiativen abgehalten. Dabei wurde ebenfalls dazu aufgerufen die Residenzpflicht zu missachten. Der Karawane gelang es, einzelne, die daraufhin von der Abschiebung bedroht waren, aus der Haft freizubekommen. In dem Aufruf zum Kongress stellen die OrganisatorInnen der "deutschen Arbeiterklasse" kein gutes Zeugnis aus: "Wird sie sich endlich einmal solidarisch mit den Flüchtlingen und MigrantInnen erklären, die das lebende Zeugnis der weltweiten Verwüstungen durch das Kapital sind?" In Deutschland waren die Obdachlosen die einzige soziale Bewegung, mit der die Karawane eng zusammengearbeitet habe, so Mendis. "Diese stehen ebenfalls außerhalb der Gesellschaft. "Darauf sollten sie stolz sein. Es zeigt, dass man etwas richtig gemacht hat, wenn man von der deutschen Gesellschaft nicht anerkannt wird." Dass in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich jeglicher Raum zur Integration fehle, sei trotz allem auch ein Vorteil: "Es zwingt die Leute zu kämpfen."

Patrick Hagen

Der Kongress findet vom 21.April bis zum 1.Mai in Jena statt. Weitere Informationen gibt es bei The Voice - Africa Forum, Fon (03641) 665214, und beim Internationalen Menschenrechtsverein, Fon (0421) 5577093. Oder unter <www.humanrights.de/congress>. Spendenkonto: Postbank Leipzig (BLZ 8601090) 231633-905.