RHEINPFALZ ONLINE, 21.3.2000

Atteste fehlen in Abschiebungsakte

Suizidgefahr im Verfahren gegen Kurdenfamilie nicht berücksichtigt

ALBERSWEILER (au). Die kurdische Familie Korzmaz, die am vergangenen Mittwoch aus Albersweiler (Kreis Südliche Weinstraße) in die Türkei abgeschoben worden ist (wir berichteten), könnte noch in Deutschland sein. Das ärztliches Attest der Psychotherapeutin Gertraud Migl, die bei dem Familienvater eine "massive depressive Störung mit Ängsten und tiefer existenzieller Verunsicherung" diagnostizierte und ihn als selbstmordgefährdet einstufte, hat nie Eingang in das Asylverfahren gefunden.

Im Dezember hatte das Verwaltungsgericht Neustadt, das letztinstanzlich das Asylbegehren der siebenköpfigen Kurdenfamilie ablehnte, in einem ähnlichen Fall eine Duldung ausgesprochen. Dies erlaubt der Paragraf 15/3 des Ausländergesetzes aus dringenden humanitären Gründen. "Suizidalität ist ein Abschiebehindernis", bestätigt Roland Kintz, Richter am Verwaltungsgericht Neustadt. Er war es, der am 5. November 1999 das unanfechtbare Urteil über die Familie Korkmaz sprach. Doch ohne Kenntnis des Attests: "Es wurden nur noch Unterlagen über exilpolitische Aktivitäten vorgelegt", erinnert sich Kintz, nicht aber die ärztliche Bescheinigung, dass Mehmet Korkmaz seit Anfang Juni mit seiner Familie in psychotherapeutischer Behandlung ist. "Meines Wissens war davon keine Rede", erklärte Kintz gestern auf Anfrage der RHEINPFALZ. Und auch in der Akte findet sich das Schriftstück nicht. Ein gleich lautendes Attest hatte die Ärztin dem Anwalt der Familie auch zur Vorlage bei der Kreisverwaltung Südliche Weinstraße überlassen. Und auch dort hat niemand die Bestätigung zu Gesicht bekommen oder davon gehört, versichert Landrätin Theresia Riedmaier, die die Abschiebung nach der (vermeintlichen) Ausschöpfung aller Rechtsmittel veranlasst hatte. Unterdessen hat sich Ali, der älteste Sohn der Familie, aus Istanbul gemeldet. Die türkischen Behörden hätten ihnen alles Bargeld abgenommen und alle über Nacht ins Gefängnis gebracht. Dem Vater sei während eines Verhörs die Flucht gelungen. Nun sei die Familie ohne Geld und ohne Dach über dem Kopf. Heiko Müller, Landesbeauftragter für Asylfragen bei Amnesty International, ist "entsetzt über die Handlungsweise der Landrätin". Sie steht nun im Mittelpunkt der Kritik. Mit einer Demonstration gegen die von ihr veranlasste Abschiebung wurde sie am Wochenende bei einer Veranstaltung konfrontiert. "Es hätte sich auch angeboten, in diesem Falle vielleicht menschliche Gesichtspunkte über das Gesetz zu stellen", heißt es in einer Erklärung der Rechtsanwälte Bernd Lütz-Binder und Wolfgang Schau, die die Familie Korkmaz vertreten haben. Allerdings hat Schau allem Anschein nach das möglicherweise entscheidende Attest nicht in das Verfahren eingeführt. "Es war in dem Schriftsatz dabei", versichert er, räumt aber ein, dass er es der Kreisverwaltung nicht vorgelegt hat. Die Behörde sei ja in dem Verfahren nicht mehr beteiligt gewesen, erklärt er die Unterlassung.