Basler Zeitung (CH), 21.3.2000 «Wer Menschenrechte verletzt, gehört vor Gericht gestellt» Zum Auftakt der diesjährigen Sitzungsperiode der UNO-Menschenrechtskommission in Genf forderte Hochkommissarin Mary Robinson «rigorose und und unabhängige» Untersuchungen aller Verletzungen der Menschenrechte. Ein Schwerpunkt der Beratungen ist Tschetschenien. China steht an zweiter Stelle. Genf. «Für Menschen, die sich schwerer Verletzungen der Menschenrechte schuldig gemacht haben, darf es keine selektive Behandlung, keinen Zufluchtsort und keine Straffreiheit geben.» Mit diesen Worten eröffnete die Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, am Montag in Genf die 56. Sitzungsperiode der UNO-Menschenrechtskommission. Die frühere Präsidentin Irlands setzte sich für «rigorose und unabhängige Untersuchungen» aller rund um den Erdball gemeldeten schweren Verletzungen der Menschenrechte ein. «Wo Beweise für die Anschuldigungen vorliegen, müssen die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden», sagte Robinson. Ende März in den Kaukasus Schwerpunkt der diesjährigen Beratungen der aus 53 Staaten zusammengesetzten Kommission ist die Lage in Tschetschenien, obwohl der Krieg im Kaukasus nicht formal auf der Tagesordnung steht. Mary Robinson wird Tschetschenien Ende März auf Einladung der russischen Regierung besuchen. Von ihrem Bericht und dem Kooperationswillen Moskaus wird der Verlauf der Debatte abhängen. Derzeit laufen noch die Verhandlungen über die genaue Reiseroute der Hochkommissarin. Robinson will nach eigenen Angaben die Berichte über Gräueltaten vor Ort überprüfen und die von den russischen Militärs errichteten «Filterlager» besichtigen. Das zweite Hauptthema ist die Menschenrechtssituation in China. Zum Auftakt der Konferenz demonstrierten etwa 500 Anhänger der in China verfolgten Glaubensgemeinschaft Falun Gong schweigend vor dem Genfer UNO-Sitz. China ist angeklagt, insbesondere die Ausdrucks-, Glaubens- und Versammlungsfreiheit zu missachten. Auch die parteiischen Gerichtsverfahren, die Vollstreckung der Todesstrafe für geringfügige Vergehen und die Unterdrückung der tibetischen Kultur werden als Verletzungen der Menschenrechte gebrandmarkt. Wie in früheren Jahren werden die USA einen Resolutionsentwurf zu China unterbreiten. Bisher gelang es China stets, mit Hilfe einer Mehrheit von Drittweltstaaten diese Anträge mit einem Verfahrenstrick vom Tisch zu wischen. Diesmal haben die USA ihren Resolutionsentwurf besonders glatt gebügelt, um möglichst viel Unterstützung zu erhalten. Die chinesische Regierung versucht ihrerseits, den Dialog mit der Menschenrechtskommission und der Hochkommissarin nicht abreissen zu lassen. In den konkreten Fragen wurden allerdings in den vergangenen zwölf Monaten keine Fortschritte erzielt. Die Menschenrechtskommission ist nach dem Sicherheitsrat und der Generalversammlung zum drittwichtigsten politischen Organ der Vereinten Nationen aufgestiegen. Diese Tatsache wird durch den Aufmarsch politischer Prominenz belegt. In den nächsten Tagen werden Bundesrat Joseph Deiss, US-Aussenministerin Madeleine Albright, der deutsche Aussenminister Joschka Fischer sowie Regierungsmitglieder aus rund 30 weiteren Staaten in Genf aufkreuzen. Eine wirkungsvolle Rolle spielen Hunderte von Nicht-Regierungsorganisationen (NGO), die an den Diskussionen teilnehmen können und in den Kulissen Überzeugungsarbeit leisten. Kein ideales Präsidium Ein besonderes Anliegen der NGO ist dieses Jahr, Staaten an den Pranger zu stellen, die den Schutz von Grossmächten oder starken Allianzen geniessen. Namentlich geht es dabei um Saudi-Arabien, einige Ölemirate und die Türkei. Regelmässig durchleuchtet wird die Lage in Afghanistan, Iran, Irak, Burma und Kuba. Westliche Diplomaten erwarten an der diesjährigen Sitzungsperiode keinen Durchbruch. Der zum Vorsitzenden gewählte Nepalese und die Vizepräsidenten aus Venezuela und dem Sudan gelten nicht als besonders eifrige Verfechter der Menschenrechte. Ein europäischer Delegationsleiter befürchtet daher, dass «manches schief laufen wird». Pierre Simonitsch |