junge Welt, 22.3.2000 Worum ging es der NATO im Kosovo? jW fragte Peter Strutynski, Sprecher des Bundesverbandes Friedensratschlag F: Am Freitag jährt sich zum ersten Mal der Beginn der NATO- Angriffe auf Jugoslawien. Mit dem Krieg verfolgte die NATO das Ziel, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Wurde dieses Ziel erreicht? Das Gegenteil ist der Fall. An die Behauptung, die damals aufgestellt wurde, hat offenbar die NATO selbst nie glauben können, denn die humanitäre Katastrophe, die sie verhindern wollte, ist ja eigentlich erst nach dem 24. März des vergangenen Jahres eingetreten. Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Berichten, von der OSZE beispielsweise, die eindeutig belegen, daß die Situation vor dem Krieg, also zwischen Oktober 1998 und März 1999, als die OSZE- Beobachter im Kosovo waren, relativ ruhig, relativ gewaltarm war. Ein Massenabschlachten, ethnische Säuberungen, Vertreibungen - all das hat es in diesem Zeitraum tatsächlich nicht gegeben. Die sind erst eingetreten, als die Kriegshandlungen begannen. F: Wie ist denn die Situation derzeit in den von der KFOR kontrollierten Gebieten? Die Situation ist natürlich jetzt nach außen insgesamt ruhiger. Das ist aber nun nicht unbedingt etwas Positives. Die Situation ist dort auch deswegen ruhiger, weil es in den letzten Monaten der UCK und den mit ihnen verbündeten Kräften gelungen ist, fast alles aus dem Kosovo zu vertreiben, was nicht albanisch ist. Roma sind so gut wie keine mehr in der Region, Serben sind so gut wie keine mehr in der Region, wenn man mal von solchen Enklaven wie Mitrovica absieht. Auch andere Ethnien sind nicht mehr in der Region, Kroaten, Bosniaken sind nicht mehr dort. Es ist ein fast ethnisch reines Gebiet geworden. Da ist es dann schon relativ leicht zu sagen, daß das Gebiet befriedet ist. In Wirklichkeit ist es ethnisch sauber. Aber es ist natürlich keine saubere Lösung für die Menschen, die geflohen sind oder die vertrieben wurden. F: Nun gibt es trotz dieser von Ihnen genannten Enklaven, in denen noch andere Ethnien leben, Konfrontation. Wie verhält sich die NATO, wie verhalten sich besonders die USA als dominierende Macht in der NATO, in dieser Situation? Zwiespältig. Es ist nicht so, daß sie nun ganz offen und ganz eindeutig und unter allen Umständen sozusagen das Vertreibungswerk und Rachewerk der albanischen Bevölkerungsmehrheit in dieser Region unterstützen und fortführen. Obwohl es insgesamt natürlich schon politisch so ist, daß sich die USA und große Teile der KFOR-Truppen eher als Verbündete der UCK sehen. F: Es gibt ja noch immer Kriegsdrohungen von den USA gegenüber Belgrad. Da liegt aber der Kriegsgrund meines Erachtens weniger im Kosovo, denn an anderen Umständen. Es geht, glaube ich, insbesondere um Montenegro. Insgesamt ging es ja ohnehin nie um das Kosovo. F: War also das Kosovo nur ein Vorwand für den Krieg? Das Schicksal der Menschen im Kosovo war den USA, war auch der deutschen Regierung ziemlich egal. Wenn es um das Schicksal der Bevölkerung im Kosovo gegangen wäre, dann hätten die NATO-Staaten eigentlich schon seit zehn Jahren Gelegenheit gehabt zu helfen. Das wäre auch über Hilfsprogramme möglich gewesen. Auch in vernünftiger Weise mit der Belgrader Führung zusammen. Diese Gelegenheit wurde nie wahrgenommen. Es ging in Wirklichkeit darum, das letzte unbotmäßige Regime in Europa auszuschalten. Das letzte Hindernis auf dem Weg sozusagen eines neoliberalen kapitalistischen Europa, das vom Atlantik bis fast zum Ural reicht. Interview: Christian Kliver
|