Basler Zeitung (CH), 22.3.2000 Türkisches Wasser, heiss begehrt und heiss umstritten Von Jan Keetman, Istanbul Im Nahen und Mittleren Osten ist Wasser knapp - und es wird immer knapper. Selbst der historische fruchtbare Halbmond, den die Flüsse Euphrat und Tigris formen, ist am Austrocknen. Die Türkei, in der beide Flüsse entspringen, errichtet an ihnen ein System von 19 Dämmen und 22 Kraftwerken, mit denen sie den Abfluss in den Süden kontrolliert. Als der jordanische König Abdullah Mitte März die Türkei besuchte, galt das Interesse des Herrn über viel trockenes Land vor allem einem Projekt an der türkischen Südküste. Beim Städtchen Manavgat, etwa 70 Kilometer östlich von Antalya, hat der türkische Staat für 140 Millionen Dollar in zehn Jahren eine Anlage zum Reinigen und Abfüllen von Wasser aus dem gleichnamigen Fluss in Container erbaut. 500'000 Kubikmeter Wasser pro Tag können von hier aus verschifft werden. Die Zeitung «Milliyet» rechnet mit Einnahmen von einem Dollar pro Kubikmeter und kommt so auf 180 Millionen Dollar pro Jahr und nach einem Ausbau auf maximale Kapazität sogar auf vier Milliarden Dollar im Jahr. Dies ist jedoch noch Zukunftsmusik. Bis zum Sommer dauert die Ausschreibung zur Verpachtung der Anlage. Sodann ist das Transportproblem zu lösen. Die Kammer der türkischen Seehändler will, dass in den Pachtvertrag eine Klausel aufgenommen wird, die besagt, dass der Transport des Wassers mit türkischen Schiffen zu erfolgen hat. Andererseits übersteigt die Wassermenge die Transportkapazität der gesamten türkischen Handelsflotte um ein Vielfaches. Zu bauen ist auch noch eine Pipeline durch Israel nach Jordanien. Der König, bedacht auf regionale Gleichgewichte, hat schon seinen Wunsch geäussert, dass Israel, Palästina und Syrien in das Projekt mit einbezogen werden. So könnte das Projekt tatsächlich dazu beitragen, die auch mit der Wasserknappheit in der Region zusammenhängenden Spannungen abzubauen. Damit würde es den von der Türkei verliehenen Titel «Friedenswasserprojekt» zu Recht tragen. Zur Überraschung der türkischen Seite tauchte sogar eine Delegation aus Libyen auf, die sich für das Projekt interessierte. Noch näher liegt ein anderes Stück trockener Erde: An den türkischen Norden Zyperns liefert die Türkei bereits Wasser, im Falle einer Entspannung wäre der griechische Süden ebenso ein potenzieller Kunde. Keine Rücksicht auf Nachbarn Wirtschaft und Politik vermischen sich auch beim grössten Wasserprojekt der Türkei. Anders als das Friedenswasserprojekt verstärkt dieses allerdings die Wasserknappheit in einigen Regionen. Unter dem Namen Südostanatolien-Projekt (GAP) wird an Euphrat und Tigris ein System von 19 Dämmen und 22 Kraftwerken errichtet. Neben der Stromgewinnung ist vor allem an landwirtschaftliche Grossprojekte mit künstlicher Bewässerung gedacht. Damit gräbt die Türkei ihren Nachbarn Syrien und Irak das Wasser ab. Diese Länder befürchten ausser einer Verminderung des Flusswassers auch eine sinkende Qualität infolge der landwirtschaftlichen Nutzung. In Ankara fühlt man sich im Recht, schliesslich kann man vorrechnen, dass das Wasser der Flüsse überwiegend von Regen stammt, der auf türkischen Boden fällt. Ausserdem verbrauche auch Syrien einen grossen Teil des Wassers des Flusses Asi, der von Syrien aus über die türkische Provinz Hatay ins Mittelmeer fliesst. Der syrische Wunsch, die von der Türkei 1986 zugestandene Mindestmenge zu erhöhen, traf in Ankara nicht auf Gegenliebe. Stattdessen steht neuer Streit ins Haus. Zum einen will die Türkei, nachdem der Euphrat bereits durch den Atatürk-Staudamm gut abgestaut ist, nun noch ein Stück weiter unten direkt an der Grenze zu Syrien bei Karkemisch und Birecik das Wasser ebenfalls abstauen. Hauptstreitpunkt ist aber der Ilisu-Damm am Tigris, der vor allem den Irak trifft. Die Arabische Liga hat letztes Jahr gegen das Projekt protestiert. Doch ihre kriegerisch klingenden Drohungen braucht Ankara einstweilen nicht zu fürchten. Syrien ist ein kleines und armes Land, der Irak liegt seit dem Golfkrieg am Boden, beide haben nur beschränkten Zugang zu Militärtechnologie. Schlimmstenfalls müsste wohl auch die Nato den Verbündeten schützen und würde so das Recht der Türkei an ihrem Regenwasser gegen das Gewohnheitsrecht der Araber auf das Wasser der Flüsse verteidigen. Umstrittene Garantie aus Bern Ein grösseres Hindernis stellt die Kritik von regierungsunabhängigen Menschenrechts- und Umweltgruppen aus Europa dar. So hatte man in Bern im letzten November abzuwägen, ob man mit einer Exportrisikogarantie über 470 Millionen Franken 1230 Arbeitsjahre bei den Firmen ABB und Sulzer Hydro sichern will oder den in der «Erklärung von Bern» zusammengeschlossenen Kritikern nachgibt, die auf das Schicksal von 25'000 Menschen hinwiesen, die in dem Gebiet leben, das die Wasser des Ilisu-Dammes überfluten sollen. Beklagt wird insbesondere die Vernichtung des historisch bedeutenden Städtchens Hasankeyf, das von Kurden gelegentlich als ihr Ephesus bezeichnet wird. Der Bundesrat zog sich aus der Affäre, indem er die Exportrisikogarantie daran knüpfte, dass die Türkei einer Überwachung über die Umsiedlung und Entschädigung der betroffenen zustimmt. Protest auch aus Grossbritannien Damit zog der Streit aber nur weiter, von Bern nach London. Der britische Handelsminister Stephen Byers hat unmittelbar vor der Weihnachtspause erklärt, er würde eine Garantie über 200 Millionen Pfund für die Firma Beatty Balfour unter der Auflage gewähren, dass die Türkei ein Umsiedlungsprogramm nach internationalem Standard vorlegt, das auch eine unabhängige Aufsicht zulässt und «einen detaillierten Plan erstellt, um so viel wie möglich vom archäologischen Erbe von Hasankeyf zu retten». Britische Parlamentarier laufen aber weiter Sturm gegen das Projekt. Sie werfen der Türkei vor, nicht einmal mit den Bürgermeistern der betroffenen Orte sei bisher über die geplante Umsiedlung gesprochen worden. Die von Byers verlangte Abstimmung mit den Nachbarländern hat der türkische Leiter des Projektes, Olcay Ünver, sogar explizit ausgeschlossen. Auch ist bekannt, dass bei den bisherigen Umsiedlungen Verwaltung und Justiz die Betroffenen oft ins Leere laufen liessen und Tausende von Menschen ihre Lebensgrundlage verloren, ohne Entschädigung zu erhalten. Von Entschädigung und Bewässerung profitierten dagegen vor allem einige oft selbst nicht in der Region lebende Grossgrundbesitzer. |