Frankfurter Rundschau, 24.3.2000 Draußen vor der Grenze Das politische Buch: Beat Leuthardt über Flüchtlinge am Rande Europas Von Roland Schönbauer Beim Badeurlaub auf Fuerteventura sieht man sie nicht. Beim Surfen auf dem Neusiedler See im Burgenland auch nicht. Auf der Bildungsreise durch Sizilien ebenso wenig. Dennoch sind sie da: Migranten aus Asiens Kriegsgegenden, Afrikas Diktaturen und den Armenhäusern Osteuropas. Sie kommen in Nussschalen über den Atlantik, in Schlauchbooten über die Adria oder schwimmend im eiskalten Grenzfluss. Es kostet sie meist viel Geld, bis an die EU-Außengrenze zu kommen. Dort riskieren viele Kopf und Kragen, um sie zu überwinden. Allein in den 14 Kilometern der Meerenge von Gibraltar ertrinken jährlich nach offiziellen Angaben mehrere hundert, nach inoffiziellen über tausend Migranten. Andere werden in ihrem Versteck auf einer Lkw-Achse zerquetscht oder verhungern im Schiffscontainer. Von diesen Menschen an der EU-Außengrenze und von allen, die mit ihnen zu tun haben, berichtet der Schweizer Autor Beat Leuthardt - ein früherer Mitarbeiter der FR - ganz unaufgeregt. Da verhindern bürokratische Hürden seit Österreichs Schengen-Beitritt den pünktlichen Beginn des traditionellen gemeinsamen Gottesdienstes mit slowenischen Nachbarn, da versteckt eine einst selbst vom überladenen Frachter gesprungene Albanerin einen Neuankömmling in ihrer italienischen 45-Quadratmeter-Wohnung. Da beklagt ein slowakischer Landwirt, dass er seinen Verwandten jenseits der ukrainischen Grenze nur mehr wenig zu sagen habe - und das über den Sicherheitsstreifen hinweg rufen müsse. Leuthardt versucht mit derlei Anekdoten, ost- und nordeuropäische Länder wie Litauen als vorauseilend gehorsame Puffer-Staaten auf der Suche nach EU-Anschluss darzustellen. Allein: Die Indizien sind manchmal recht dünn (den slowakischen Bauer etwa trennt die Grenze seit 50 Jahren von seinen Verwandten). Nun soll nicht bestritten werden, dass technische und administrative Abschottung (schon bisher) eine Vorleistung für eine EU-Mitgliedschaft darstellen. Vergleicht man aber die angeführten Abschottungsschritte der "Vorposten" mit EU-eigenen Maßnahmen in Mitgliedsstaaten, erscheinen manche doch etwas weit hergeholt. Dass etwa Hecken an einem Grenzfluss nicht mehr geschnitten werden, um so als Hürde zu dienen, nimmt sich vergleichsweise harmlos aus gegen 50 000 Abschiebungen allein aus Italien im Jahr 1998. Wie ein roter Faden zieht sich ein Eindruck durch Leuthardts Berichte: Das Übereinkommen von Schengen mit seinem Computersystem, "einem elektronischen Spinnennetz", hat eine Abkehr von humanitären Traditionen im Umgang mit Migranten und Asylbewerbern mindestens beschleunigt. Dazu passt der Kommentar von Spaniens Regierungschef José María Aznar, nachdem seine Behörden Flüchtlinge aus einem Lager in Ceuta unter Verabreichung von Schlafmitteln nach Afrika ausgeflogen hatten: "Wir hatten ein Problem, und wir haben es gelöst." Der Teil des Buches mit Homepages, Dokumenten, Daten und Fakten zum Thema widerlegt ihn. Beat Leuthardt: An den Rändern Europas. Berichte von den Grenzen. Rotpunktverlag, Zürich 1999, 310 Seiten, 38 Mark. |