Frankfurter Rundschau, 27.3.2000 "Diese Chance nutzen" Gastbeitrag: EU sollte Flüchtlingsfamilien Zusammenführung ermöglichen Von Jean-Noël Wetterwald Wenn am heutigen Montag die Innen- und Justizminister der Europäischen Union (EU) in Brüssel zusammenkommen, steht auf der Tagesordnung eine Richtlinie mit großer Bedeutung für die Flüchtlingspolitik. Es geht um die Familienzusammenführung. Die Öffentlichkeit nahm kaum Notiz: Anfang Dezember letzten Jahres präsentierte die Europäische Kommission den Entwurf für ein Dokument, das sich auch mit einem der menschlich bewegendsten Themen des Flüchtlingsschutzes befasst - dem Recht auf Familienzusammenführung. Durch Flucht und Vertreibung getrennte Familien wieder zu vereinen, gehört zu den schwierigsten, aufreibendsten, bei Erfolg jedoch auch schönsten Aufgaben, die dem UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) aufgetragen sind. Ziel des Brüsseler Vorschlages: die innerhalb der Union höchst unterschiedlichen und komplizierten Regelungen zur Familienzusammenführung von so genannten Drittstaatenangehörigen mittels einer rechtsverbindlichen Richtlinie anzugleichen. Hintergrund und Rechtsgrundlagen für diese Initiative bildet der Amsterdamer Vertrag, nach dem auch die Asyl- und Migrationspolitik der EU-Mitgliedstaaten in den nächsten Jahren harmonisiert werden soll. Das Dokument bietet somit die erste konkrete Diskussionsgrundlage für Maßnahmen in diesen zur Vergemeinschaftung anstehenden Bereichen. Ein Anfang, der aus Sicht von UNHCR hoffen lässt. Denn ausdrücklich wurde dem besonderen Schicksal von Flüchtlingen Rechnung getragen. Für formell anerkannte Flüchtlinge und jene Personen, die auf Grund ihrer Schutzbedürftigkeit nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden dürfen, sollen nach dem Willen der EU-Kommission die Voraussetzungen für eine Familienzusammenführung deutlich vereinfacht werden. Im Mittelpunkt stehen dabei erhebliche Erleichterungen beim sonst üblichen Nachweis für ausreichenden Wohnraum sowie der finanziellen Mittel und bei der Dokumentation familiärer Bindungen, zudem eine Verkürzung der Wartezeit für den Familiennachzug. Würden diese Regelungen umgesetzt, könnten viele Flüchtlinge in Deutschland auf ein Wiedersehen mit ihren nächsten Angehörigen hoffen. Bislang waren hierfür die Aussichten eher gering. Grund: die restriktive deutsche Rechtslage. Lediglich Asylberechtigte nach Artikel 16a Grundgesetz haben einen Rechtsanspruch auf Nachzug von Mitgliedern der Kernfamilie (Ehegatte und minderjährige Kinder). Nach dem deutschen Asylrecht ist jedoch bei Einreise auf dem Landweg eine Anerkennung als politisch Verfolgter ausgeschlossen. Zunehmend steht deshalb der im Ausländerrecht verankerte Abschiebungsschutz der Genfer Flüchtlingskonvention im Mittelpunkt des Asylverfahrens. In der Öffentlichkeit spricht man in diesem Zusammenhang oftmals missverständlich von dem so genannten "kleinen Asyl". Nach Auffassung von UNHCR muss dieser Status aufgewertet werden, da eine positive Entscheidung die betroffenen Asylsuchenden ausdrücklich unter den Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention stellt. Dies bedeutet vor allem, Menschen einen Rechtsanspruch auf Familiennachzug einzuräumen, die in einem sehr strengen Verfahren als schutzbedürftig anerkannt werden. Derzeit liegt es im Ermessen der deutschen Behörden, ob eine Familie wieder zusammenkommen darf. Der dabei angewandte Spielraum ist jedoch meist sehr eng gesteckt. Stellen Konventionsflüchtlinge in Deutschland Anträge auf Familienzusammenführung, müssen sie mit einer pauschalen Ablehnung rechnen, wenn sie nicht über ausreichend Wohnraum oder Einkommen verfügen. Praktisch chancenlos sind auch jene Betroffenen, die keine Familiendokumente im Original vorweisen können. Bedrückend ferner die Tatsache, dass Anträge von Konventionsflüchtlingen auf Familienzusammenführung häufig zum Anlass genommen werden, die Anerkennung als Flüchtling durch ein Widerrufsverfahren in Frage zu stellen. Im letzten Jahr wurden in Deutschland rund 6100 Asylsuchende als Konventionsflüchtlinge anerkannt. 2100 Personen billigte das Asyl-Bundesamt in Nürnberg darüber hinaus Abschiebungsschutz zu, weil ihnen in ihrer Heimat Gefahr für Leib und Leben droht. Selbst unter sehr restriktiven Voraussetzungen wurde diesen Menschen also von Amts wegen bescheinigt, dass sie schutzbedürftig sind. Es ist deshalb nur konsequent, ihnen auch das Recht zuzugestehen, mit ihren Ehepartnern und Kindern in Sicherheit zu leben. Die EU-Kommission hat diesen Anspruch mit Hinweis auf entsprechende völkerrechtliche Bestimmungen anerkannt. Es liegt nun an den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten, mit ihrer einmütigen Zustimmung den vorliegenden Vorschlag zu geltendem Recht zu erheben. Sie würden damit das ausdrückliche Bekenntnis der EU-Regierungschefs zur Genfer Flüchtlingskonvention in einem wichtigen Punkt fortführen. Für die Bundesregierung wäre dies darüber hinaus ein Weg, die deutsche Rechtslage und -praxis bei der Familienzusammenführung von Flüchtlingen internationalen Maßstäben anzupassen. Was spricht dagegen, diese Chance zu nutzen? Jean-Noël Wetterwald ist der Repräsentant des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) in Deutschland |