junge Welt, 27.03.2000 Gilt Artikel 1 GG in deutschen Flüchtlingsheimen? jW sprach mit Regina Andresen, Vorstandsmitglied des Vereins Menschlichkeit e.V. in Nienburg/Weser F: Der Verein Menschlichkeit e.V. setzt sich seit zwei Jahren für die Asylbewerber des Heimes Tambach-Dietharz in Thüringen ein. Wie sind die Lebensumstände der Bewohner in diesem Heim? Ich persönlich bin seit vielen Jahren ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe tätig. Während dieser Zeit habe ich viele Flüchtlingsheime auch in Gaza oder Bethlehem besucht, aber nie im Leben habe ich eine so menschenunwürdige Behandlung und Unterbringung von Asylbewerbern gesehen wie in diesem Heim. Das Lager liegt weit ab von jeglicher Zivilisation isoliert in einem Wald, fünf Kilometer von der nächsten Ortschaft entfernt. Es ist von Stacheldrahtzäunen umgeben. Insgesamt sind dort 500 Menschen aus 30 Nationalitäten untergebracht. Die hygienischen Bedingungen sind katastrophal. 80 Menschen teilen sich vier Toiletten. Innerhalb des Geländes gibt es nur vier Telefonzellen. Auslandsgespräche sind gesperrt. Die Asylsuchenden erhalten pro Monat 80 DM in bar und einen Lebensmittelgutschein im Wert von 248 DM, den sie in zwei ausgewählten Supermärkten einlösen können. Die Bewohner des Heims haben keinen Kontakt zur deutschen Bevölkerung. Innerhalb des Lagers gibt es keinerlei Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Menschen sind in Vier- oder Fünf-Bett-Zimmern untergebracht, haben also nicht die geringste Privatsphäre. F: Welche Folgen hat das für die Menschen? Diese Menschen leiden eigenen Berichten und ärztlichen Einschätzungen zufolge an starken Traumatisierungen. Ich stelle immer wieder fest, daß auch Menschen, die erst seit kurzem dort Leben, psychotische Symptome entwickeln. Viele leiden unter Angstzuständen. Protestieren sie gegen die Lebensbedingungen in dem Heim, wird ihnen von seiten der »Wärter« und der Heimleitung mit Abschiebung gedroht. F: Wie wollen Sie die Situation dieser Menschen verbessern? Am Anfang konnte unser Verein lediglich psychischen Beistand leisten. Inzwischen stehen wir in Kontakt mit anderen Organisationen und verantwortlichen Politikern. Wir bieten Unterstützung für das Komitee an, das die Bewohner des Heims gegründet haben. Die nächste Aktion wird am morgigen Dienstag eine Besichtigung des Lagers mit Vertretern der PDS und dem Flüchtlingsrat Thüringen sein. F: Wie sind die Reaktionen von politischer Seite zu beurteilen? F: Die Berichte von den menschenunwürdigen Lebensbedingungen in dem Heim sind bis jetzt von niemandem angezweifelt worden. Die verantwortlichen Politiker berufen sich aber darauf, daß die Verträge, die für das Heim 1992 mit einer privaten Betreiberfirma auf zehn Jahre abgeschlossen wurden, erfüllt werden müssen. Das Paradoxe ist allerdings, daß der Vertrag ursprünglich dieses Jahr auslaufen sollte. Nun ist er bis 2002 verlängert worden. F: Was fordert das Komitee der Bewohner, und was will Ihr Verein erreichen? Wir fordern eine sofortige Schließung des Heims und eine dezentralisierte Unterbringung der Asylsuchenden. Es steht genügend Wohnraum in Gotha zur Verfügung. Die Unterbringung der Asylbewerber dort würde für den Staat außerdem weitaus kostengünstiger ausfallen. Wir fordern eine würdige Behandlung von Menschen, die in unserem Land Schutz suchen. Interview: Claudia Wondratschke |