Frankfurter Rundschau, 24.3.2000 Möwen und E-Mail kennen keine Grenzen Auf der durch Stacheldraht geteilten Insel Zypern knüpfen junge Menschen Kontakte Von Gerd Höhler (Nikosia) "Da sind sie ja, unsere Freunde", sagt Ulus spöttisch und zeigt auf den weißen Renault-Kombi, der draußen langsam auf den Parkplatz rollt. Wer hier solche Autos fährt, weiß jedes Kind: die türkische Geheimpolizei aus Nordzypern. Die beiden Männer beobachten uns eine Weile, notieren sich die Nummern der vor dem Lokal abgestellten Wagen und gehen dann hinter der nächsten Ecke in Lauerstellung. Wir sind im Pylievs, einem Restaurant in Pyla, einer kleinen Ortschaft an der Demarkationslinie, die quer durch Zypern verläuft. Pyla ist eines von ganz wenigen Dörfern, in denen griechische und türkische Zyprer noch zusammen leben. Hier ist die Grenze durchlässig. Das macht den Ort zum inzwischen einzigen Treffpunkt für griechische und türkische Zyprer. An diesem Nachmittag sind es etwa 20 Jugendliche aus beiden Teilen der Insel, die sich hier zusammengesetzt haben, um über ein gemeinsames griechisch-türkisches Jugendfestival zu beratschlagen, das sie am Wochenende veranstalten wollen. Einige Erwachsene sind auch dabei: der griechisch-zyprische Lehrer Nikos Anastasiou aus Larnaca und sein türkisch-zyprischer Kollege Ulus Irkad, der heute in Famagusta lebt. Ulus stammt eigentlich aus Paphos im Süden. 1974, als die damals in Athen regierenden Obristen die Insel zu annektieren versuchten und die Türkei daraufhin den Norden Zyperns besetzte, verließ er seine Heimat. 180 000 griechische Zyprer flohen damals vor den türkischen Invasionstruppen in den Süden der Insel, rund 50 000 türkische Zyprer siedelten von dort nach Norden um. Der türkische Volksgruppenchef Rauf Denktasch, der 1983 im Inselnorden seine nur von Ankara völkerrechtlich anerkannte Türkische Republik Nordzypern ausrief, widersetzt sich beharrlich allen Bemühungen um eine Wiedervereinigung. Allenfalls eine lockere Konföderation will Denktasch mit den Zyperngriechen im Süden eingehen, doch auch das erst, wenn die zuvor seinen "Staat" anerkennen. Die Zeit schien bisher für Denktasch zu arbeiten. Beiderseits der Demarkationslinie wuchsen zwei Generationen heran, die von der jeweils anderen Volksgruppe wenig wussten und so gut wie keine Kontakte hatten. Griechisch- und türkisch-zyprische Jugendliche kannten einander fast nur aus den tendenziösen Schulbüchern und den Propagandareden ihrer Politiker. Doch jetzt sind es ausgerechnet junge Inselgriechen und Zyperntürken, die Begegnungen suchen - ohne Berührungsängste, ohne die Last der Volksgruppenkonflikte der 60er Jahre, unbefangen und voller Begeisterung. Den Plan, ihr Festival im leer stehenden Hotel Ledra Palace an der Demarkationslinie in der Hauptstadt Nikosia zu veranstalten, mussten die Jugendlichen zwar fallen lassen, nachdem das Denktasch-Regime signalisierte, man werde den dortigen Checkpoint nicht öffnen. Nun soll die Party in einem kleinen Park am Ortsrand von Pyla steigen. Stundenlang redet man sich die Köpfe heiß. Ein Tavli-Turnier wollen die Jungen und Mädchen organisieren, Bands aus beiden Teilen der Insel sollen auftreten, Volkstanzgruppen und ein gemischter griechisch-türkischer Chor. Ein zehn Meter langes Stofftransparent haben die türkisch-zyprischen Jugendlichen aus dem Norden mitgebracht. Auf dem Festival soll sich jeder Besucher mit seinem eigenen Spruch darauf verewigen können. "Wir wollen keine Slogans", erklärt der junge Levent, "sondern Hunderte von Botschaften." Auf dem Höhepunkt will man gemeinsam ein halb griechisch, halb türkisch getextetes Lied singen, unzählige Ballons aufsteigen und Friedenstauben fliegen lassen. Mindestens fünf Tauben, so die Gruppe, sollen jeweils aus dem griechischen Süden und dem türkischen Norden zu dem Festival gebracht werden. Arbeitssprache bei diesem Treffen ist Englisch, das die Zyprer, deren Insel bis 1960 britische Kronkolonie war, meist gut beherrschen, und selbst die türkisch-zyprischen Jugendlichen, deren Englischkenntnisse in der Regel schwächer sind, haben keine Probleme, sich verständlich zu machen. Keine Scheu ist zu spüren, keine Distanz, erst recht keine Feindseligkeit. Im Gegenteil, man hat das Gefühl, hier sind bereits Freundschaften entstanden, die ein Leben lang halten können. Inzwischen gibt es auch einen anderen Kontaktkanal, das Internet. Telefonieren, über die wenigen von den Vereinten Nationen über die Demarkationslinie geschalteten, von beiden Regierungen ständig abgehörten Telefonleitungen? Da lachen die jungen Leute nur. Sie alle haben längst ihre E-mail-Adressen, so tauschen sie ihre Nachrichten aus, senden gescannte Flugblätter und Fotos übers World Wide Web die paar Kilometer von einem Teil Zyperns in den anderen. "Das Internet hat diese widersinnige Demarkationslinie endgültig obsolet gemacht", sagt der Zyperngrieche Nikos Anastasiou. "Wie Friedenstauben kennt E-Mail keine Grenzen!" Für die türkischen Zyprer sind die Treffen in Pyla mit persönlichen Risiken verbunden. Sie werden von der türkischen Geheimpolizei überwacht, bei der Rückkehr nach Nordzypern mitunter gefilzt und verhört, sie riskieren wegen der Kontakte mit den Griechen Ausgrenzung und Konflikte mit ihren Familien und Altersgenossen. Doch das nehmen sie in Kauf. Vielleicht ist es auch der Reiz des quasi Verbotenen, der Treffen wie die in Pyla so anziehend macht. Der junge Mehmet jedenfalls sagt: "Die griechischen Zyprer sind ganz anders, als man uns in der Schule und zu Hause immer erzählt hat!" Und wie sind sie? "Wie wir", sagt Mehmet. Wie die anderen wirklich sind, werden die Jugendlichen am Wochenende herausfinden - wenn die Denktasch-Regierung den Grenzübergang bei Pyla nicht doch noch schließt. Es wäre das erste von Jugendlichen aus beiden Volksgruppen Zyperns selbst organisierte Festival. Werden die türkisch-zyprischen Jugendlichen anreisen dürfen? Lässt man sie ihre Musikinstrumente und ihre Papiere mitnehmen? "Wir wollen für den Frieden demonstrieren - wenn unsere Regierung das nicht zulässt, ist das auch eine Botschaft", sagt der 17-jährige Zyperntürke Kemal. Für den Fall, dass die Papiere am Checkpoint beschlagnahmt werden, hat er das Gedicht, das in Pyla auf Türkisch und auf Griechisch vorgetragen werden soll, schon mal auswendig gelernt. Es handelt von einer Möwe, die über die Ägäis fliegt. Ein Fischer fragt sie: "Woher kommst du, aus Griechenland oder der Türkei?" Und sie antwortet: "Ich komme vom Meer, vom Land, aus der Luft, und meine Grenzen sind das Wasser, die Erde und die Luft."
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