junge Welt, 29.3.2000 Die Angst im Nacken Bundesrepublik bereitet Abschiebung ehemaliger Kindersoldaten aus Sierra Leone vor Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, wird gegenwärtig in der Bundesrepublik die Abschiebung mehrerer hundert Bürgerkriegsflüchtlinge aus Sierra Leone vorbereitet. Die meisten von ihnen sind Jugendliche und Heranwachsende. Über neun Jahre tobte in dem westafrikanischen Land ein Bürgerkrieg um die Kontrolle der Bodenschätze. Sierra Leone ist reich an Bauxit, Rutil, an Gold und Diamanten. Um die Vorkommen auszubeuten, wurden die Farmer von ihren Feldern vertrieben, Flüsse und Böden verseucht. Die verarmte Dorfjugend rebelliert seit Ende der 80er Jahre gegen diese Entwicklung, aber ihre Proteste wurden durch das damals herrschende Militärregime unterdrückt. 1991 drang die Vereinigte Revolutionäre Front (RUF), eine Rebellenarmee, aus dem Nachbarland Liberia in den Osten des Landes vor. Als die Diamantenminen in die Hände der Rebellen zu fallen drohten, rief die Militärjunta südafrikanische Söldner ins Land. Deren Strategie lautete schlicht: »Kill them all!« - Rebellen und Zivilisten wurden unterschiedslos bombardiert. Die militärisch unterlegenen Rebellen überzogen das Land mit bis dahin beispiellosem Terror: Brandschatzungen, Vergewaltigungen, »Straf«amputationen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Jugendlichen. Erst im Sommer 1999 wurde zwischen Regierung und der RUF ein Friedensabkommen geschlossen: Die Rebellen sollen an der Macht beteiligt werden. Der RUF-Chef wurde gar zum Vorsitzenden einer Kommission zur Kontrolle der natürlichen Ressourcen des Landes ernannt - auch die Rebellen sollen sich ein Stück des Kuchens abschneiden dürfen. Der 17jährige Abu Touray ist ein Opfer dieses Verteilungskampfes. Er teilt das Schicksal seiner Generation. Als 13jähriger war er zwangsrekrutiert worden, erst vor zwei Jahren gelang ihm die Flucht. Seitdem lebt er als Flüchtling auf einem Wohnschiff im Hamburger Hafen. Vor einigen Tagen aber hat die Ausländerbehörde der Stadt ihm in einem Brief mitgeteilt, er müsse bis Mitte April das Land verlassen. Erwachsene Landsleute beruhigen ihn zwar, daß es in der Hauptstadt Freetown jetzt sicher sei. »Aber in Freetown kenne ich niemanden«, sagt Abu gegenüber junge Welt. »Ich komme aus Koidu, mehrere hundert Kilometer entfernt. Dort herrschen immer noch die Rebellen.« Die Erinnerungen belasten Abu bis heute: »Es war vor vier Jahren. Die Rebellen kamen in unser Haus, suchten nach meinem Vater. Aber der war nicht da. Deshalb haben sie mich, den ältesten Sohn, mitgenommen. Zwei Jahre mußte ich mit ihnen kämpfen. Wir sind von Dorf zu Dorf gezogen, meistens unter Drogen. Wenn wir Tabletten geschluckt hatten, spürten wir keine Angst mehr und waren zu allem fähig. Ich wollte weg, aber zu fliehen war sehr gefährlich.« Bei seinem zweiten Fluchtversuch, den er mit einem Freund unternahm, stießen beide im Busch auf einen Trupp Rebellen: »Sie kamen plötzlich von der Seite. Ich konnte mich noch verstecken, mein Freund nicht. Ich lag im Gebüsch und sah, wie sie meinem Freund mit einer Machete Hände und Füße abschlugen. So ließen sie ihn liegen und zogen weiter. Starr vor Angst war ich. Später habe ich mich dann zurück ins Lager geschlichen. Dort hatte man meine Abwesenheit zum Glück noch nicht bemerkt.« Erst der dritte Fluchtversuch gelang. Abu schlug sich zu Fuß in den Westen des Landes durch, nach Kambia, wo eine Tante in einem Flüchtlingslager lebte. Die aber denunzierte ihn beim Sicherheitspersonal: »Sie wußte, daß ich bei den Rebellen gewesen war, wollte nichts mit mir zu tun haben.« Der Wachdienst sah in Abu einen Spion der Rebellen und verschleppte ihn nach Conakry, in die Hauptstadt Guineas. Dort wurde er wochenlang auf einer Polizeiwache gefangengehalten. Nach seiner Freilassung lebte er als Bettler in den Straßen, immer in der Furcht vor einer Abschiebung nach Sierra Leone. Dann gelang ihm die Flucht als blinder Passagier nach Europa. Nur schwer kann Abu seine Furcht vor der Abschiebung verbergen. Er erzählt, daß er seit dem Brief der Ausländerbehörde schlecht schläft und oft heftige Kopfschmerzen hat. Berichte von Freunden schüren die Angst. Ein Freund, der sich zu Verwandten in die USA retten konnte, war beim Einmarsch der Rebellen in Freetown gewesen. Für eine Flucht sei es zu spät gewesen, berichtete er während eines Telefonats. Eine Gruppe von RUF-Kämpfern sei damals ins Haus eingedrungen. Sie schlugen ihn zusammen und vergewaltigten seine vierzehnjährige Schwester. »Eure Hände für die Demokratie!« lautete ein Slogan bei den ersten freien Wahlen in Sierra Leone vor vier Jahren. Jetzt werden diese Hände von der RUF abgeschlagen. Der Freund bat, bettelte: »Nicht die rechte Hand, nehmt die linke!« Die Rebellen - unter ihnen Kinder - schlugen die rechte Hand ab, dann die linke. Die USA gewährten Asyl. Abu hingegen wird, wenn es nach dem Willen der Hamburger Ausländerbehörde geht, Mitte April nach Sierra Leone ausgeflogen. Er verfolgt die Meldungen aus seiner Heimat sehr genau und kann die Begründungen deutscher Beamter nicht nachvollziehen: »Es genügt einfach nicht, daß irgendwo ein Friedensvertrag geschlossen wird. Die Rebellen fühlen sich durch ihren Chef betrogen. Sie hören nicht auf ihn.« Wenn der Rebellenführer bei den nächsten Wahlen nicht zum Präsidenten gewählt wird, so ein Gerücht, werden seine Truppen wieder ins Land eindringen und den Sieg militärisch erzwingen. Kono, Abus Heimatdistrikt, wird bis heute von den Rebellen kontrolliert. »Neulich gab es Demonstrationen gegen die Rebellen, und diese rächen sich jetzt, indem sie Leute auspeitschen und zur Zwangsarbeit in die Minen bringen«, berichtet Abu. »Die Bevölkerung ist des Kriegs müde. Sie würden jede Führung akzeptieren, die das Land befriedet und es ihnen wieder erlaubt, ihre Felder zu bestellen«, sagt Abu. Aber die Interessen der Warlords und illegalen Diamantenschürfer stünden dem entgegen. Er weiß: »Solange jeder, der eine AK 47 hat, sich mit Gewalt nehmen kann, was er friedlich nie bekommen würde, wird es keinen Frieden geben.« Udo Casper
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