Frankfurter Rundschau, 29.3.2000 Griechen und Türken wollen Andreas helfen Kranker Zyprer beschäftigt die feindlichen Nachbarn derzeit weit mehr als die Politik Von Thomas Seibert (Istanbul/afp) Seit Jahrzehnten stehen sich Türken und Griechen im Zypern-Konflikt unversöhnlich gegenüber, doch das Schicksal eines krebskranken Jungen hat sie plötzlich einander näher gebracht. Der sechsjährige Andreas Vassiliou aus der griechischen Republik Zypern hat Leukämie und muss Medizinern zufolge bald sterben, wenn kein Knochenmarkspender gefunden wird. Ausgerechnet an der "Green Line" auf Zypern - der von UN-Soldaten bewachten Grenze zwischen dem griechischen und dem türkischen Sektor, die zum Symbol der Teilung geworden ist - melden sich viele türkische Zyprer. Sie wollen mit einer Blutuntersuchung klären lassen, ob sie als Spender in Frage kommen. Türkische Zeitungen sprechen bereits von einer neuen "Blutsbrüderschaft" zwischen Türken und Griechen. Allein am Montag gaben rund tausend Nordzyprer Blutproben ab. Schon bei einem vorherigen Termin zur Blutabgabe bildeten sich im türkischen Teil Zyperns lange Schlangen von potenziellen Spendern. Da die Grenze fast überall auf der Insel in beiden Richtungen geschlossen ist, können die türkischen Zyprer nur an wenigen Punkten ihre Blutproben abgeben. Zentrale Anlaufstelle ist der Ledra-Palast in der Hauptstadt Nikosia, einem ehemaligen Hotel im Niemandsland der Green Line, das als Hauptquartier der UN-Friedenstruppe auf Zypern dient. Im griechischen Südteil der Insel wurden schon 30 000 Blutproben gesammelt; auch in der griechischen Hauptstadt Athen meldeten sich mehrere tausend Spender. Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung für den kleinen Andreas steht im krassen Gegensatz zur Starrköpfigkeit der Politiker. Eine Lösung des Zypern-Konflikts ist nicht in Sicht. Die Türken im Nordteil Zyperns lehnen eine Wiedervereinigung mit dem griechischen Süden ab und verlangen die Anerkennung ihres Sektors als eigenen Staat; bisher wird die "Türkische Republik Nordzypern" nur von Ankara anerkannt. Die ehemalige britische Kolonie ist geteilt, seit türkische Truppen 1974 nach einem Putsch griechischer Nationalisten im nördlichen Drittel der Insel einmarschierten, um einen Anschluss Zyperns an Griechenland zu verhindern. Auch die nach den Erdbeben 1999 begonnene Annäherung zwischen Griechenland und der Türkei hat bisher nichts bewegen können. Doch Andreas hat all das vorübergehend in den Hintergrund gedrängt. So kündigte eine Sprecherin des türkischen Senders NTV einen Bericht über ihn mit den Worten an, auf Zypern spiele derzeit nicht die Politik die Hauptrolle, sondern ein kranker Junge. "Bitte helft uns", lautete die Schlagzeile der Istanbuler Zeitung Milliyet. "Die Andreas-Mobilmachung", titelte das Massenblatt Hürriyet. Im Kampf um das Leben des Sechsjährigen wird auch der neue kurze Draht zwischen Athen und Ankara genutzt. Der griechische Außenminister Giorgios Papandreou wandte sich mit einer Bitte um Hilfe an den türkischen Ko-Vorsitzenden des türkisch-griechischen Wirtschaftsrates, Sarik Tara. Er schaltete die Istanbuler Universität ein, die über eine Blutbank mit 150 000 Proben verfügt. Diese sollen jetzt überprüft werden, um einen Spender für Andreas zu finden. "Ich hoffe, unsere Hilfe nützt Andreas", sagte Tara. Auch auf Zypern selbst überbieten sich die Behörden gegenseitig mit Bekundungen der Hilfsbereitschaft. Sogar der Vorsitzende eines ultranationalistischen Vereins im türkischen Sektor, Osman Colak, rief seine Anhänger auf, sich an den Bluttests zu beteiligen.
|