Basler Zeitung (CH), 31.3.2000 Das irakische Volk leidet in doppelter Geiselhaft Von Heiko Flottau, Amman Die Kritik am UNO-Embargo gegen den Irak gewinnt auch im Westen an Gewicht. Dazu beigetragen hat der Deutsche Hans von Sponeck, der seit 1998 als «humanitärer Koordinator» der UNO im Irak gearbeitet hat. Heute ist seine Mission zu Ende: Von Sponeck hat sein Amt aufgegeben - aus Protest gegen die negativen Folgen der Sanktionspolitik. Fast zehn Jahre sind es her, dass die Vereinten Nationen nach dem Überfall Saddam Husseins auf Kuwait den Irak mit einem umfassenden Handelsembargo belegten. Niemand hat damals erwartet, dass Saddam auch im Jahre 2000 noch an der Macht sein würde. Zwar lockerte die UNO die Wirtschaftsblockade 1996 ein wenig. Damals beschloss der Sicherheitsrat, dem Irak den Verkauf von Öl zu genehmigen, um damit humanitäre Güter einzukaufen. Doch wesentlich verbessert hat sich die Situation nicht. Der Deutsche Hans von Sponeck verlässt zum heutigen 31. März aus Protest gegen die Sanktionen seinen Posten als «humanitärer Koordinator» des Programmes «Öl für Lebensmittel». Von Sponeck tritt in die Fussstapfen seines Vorgängers, des Iren Dennis Haliday, der 1998 seine Arbeit in Bagdad ebenfalls unter Protest einstellte. Die USA verkünden neuerdings, sie dächten über eine Lockerung der Sanktionen nach. Gleichzeitig aber blockieren sie Hunderte von legalen Lieferungen an den Irak. So darf etwa eine Ladung von Zuchtbullen derzeit nicht in das Land. Diese Tiere werden nur mit einem Impfstoff geliefert, der ihnen nach ein paar Wochen injiziert wird. Washington argumentiert, man könne mit dem Stoff biologische Kulturen anlegen, die auch der Entwicklung biologischer Waffen dienten. Keiner der Sanktionskritiker übersieht die Schuld Saddam Husseins am Niedergang des irakischen Volkes. Und niemand verniedlicht die Rolle der Sanktionsgewinnler und Schmuggler im Umkreis Saddams. Schmuggel ist im Irak erlaubt - sofern die Herrschenden daran beteiligt werden. An der irakisch-jordanischen Grenze werden nur die Lastwagen begutachtet, welche im Rahmen des Programmes «Öl für Lebensmittel» fahren. Tausende anderer Lastwagen können unkontrolliert die Grenze überqueren. Auch die irakisch-türkische Grenze ist offen - mit Wissen der UNO und der USA. Unter allen Beobachtern sind folgende negative Sanktionsfolgen inzwischen unstrittig: Die bereits ein Jahrzehnt dauernde Abkoppelung des Irak von der Aussenwelt hat zum totalen Zusammenbruch von Wirtschaft und Währung geführt. Die Härte, mit der besonders Amerikaner und Briten das Embargo durchsetzen, schliesst eine ganze Generation von Schülern und Studenten von jedem wissenschaftlichen und kulturellen Austausch mit der Aussenwelt aus. Nicht einmal international anerkannte medizinische Lehrbücher erreichen die Universitäten des Irak. Und: Die meisten Iraker sind zu Almosenempfängern geworden. Die Mehrheit der Bevölkerung ist nicht mehr in der Lage, sich selber zu ernähren. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 60 bis 80 Prozent. Fast jeder Iraker ist von den Lebensmittelrationen abhängig, die unter UNO-Aufsicht gekauft, aber von der irakischen Regierung verteilt werden. Ein Bericht des UNO-Sicherheitsrates beklagt, dass dieses Verteilungsmonopol des Staates «die Kontrolle der Regierung über das Leben jedes Einzelnen verstärkt» habe. Für den Niedergang des Irak sind letztlich Saddam und seine Mitläufer verantwortlich. Mit ihren Kriegen gegen Iran (1980-88) und gegen Kuwait (1990) haben sie ihr Land an den Rand des Bankrottes geführt. Einige, unter ihnen Hans von Sponeck, argumentieren, die internationale Gemeinschaft habe auch die Aufgabe, die Iraker vor ihrem eigenen Diktator zu schützen. Dieses Ziel sei nur zu erreichen, wenn man die Sanktionen einschränke oder aufhebe, ohne aber die Waffenkontrollen zu lockern. Gefährlich sind nach Meinung vieler vor allem die langfristigen Konsequenzen, die sich aus der Isolierung eines Landes ergeben, dessen Erziehungs- und Gesundheitssystem in der arabischen Welt früher einen Spitzenplatz besetzten. Die junge Generation, welche jetzt ohne Ausbildung und ohne Chancen auf einen Arbeitsplatz aufwachse, werde sich einst gegen die reichen, sorglos lebenden Golfaraber, besonders gegen die Kuwaiter wenden, meinen auch westliche Diplomaten. Zudem werde diese verlorene Generation den Westen für ihre Probleme verantwortlich machen und daraus die politischen Konsequenzen ziehen. Schliesslich bestehe die Gefahr, dass die zukunftslose Jugend ihr Heil in einem militanten Islam suchen werde. Der von der UNO erarbeitete Bericht übersieht die Schuld Saddam Husseins an der irakischen Misere keineswegs. In der vorsichtigen Diplomatensprache stellt er fest, dass das irakische Volk «nicht unter solchen Entsagungen leiden» würde, gäbe es «nicht die lang anhaltenden Massnahmen des Sicherheitsrates und die Auswirkungen des Krieges». Ein europäischer Diplomat in Amman charakterisiert die Situation mit plastischen Worten: Das irakische Volk befinde sich in doppelter Geiselhaft; es sei eine Geisel Saddams und eine Geisel der Sanktionen. im Interview: Hans von Sponeck «Die Jugendlichen brauchen schnelle Hilfe» BaZ: Herr von Sponeck, oft werden nur die Sanktionen für die Misere der Iraker verantwortlich gemacht. Liegt nicht die Ursache beim irakischen Regime? Hans von Sponeck: Ich habe niemals davon gesprochen, dass nur die Sanktionen zu der Katastrophe im Irak geführt haben. Es ist eine Münze mit zwei Seiten. Die irakische Regierung trägt eine grosse Verantwortung. Aber nach fast zehn Jahren ist die Realität auch die, dass die Sanktionen immer mehr an Gewicht gewinnen für die Leiden der Iraker. Dafür haben wir viele Beweise. Etwa den neuesten Bericht des UNO-Kinderhilfswerks Unicef, der den rapiden Anstieg der Kindersterblichkeitsrate dokumentiert. Saddam baut Paläste, statt dieses Geld für seine Landsleute auszugeben. Das wird von den Vereinten Nationen in keiner Weise beschönigt. Wir sind entsetzt darüber, dass nicht mehr Geld für Bildung ausgegeben wird. Wir hoffen, dass unser Druck die irakische Regierung veranlasst, Geld in die Bildung zu investieren. Allerdings ist die Behauptung falsch, Saddam verwende Einnahmen aus dem Programm «Öl für Lebensmittel» zum Bau seiner Paläste. Diese Gelder kommen aus dem illegalen Export von Diesel und anderen dubiosen Quellen. Das macht die Sache freilich nicht akzeptabler. Wo haben Saddams Kriege und die Sanktionen die Iraker am meisten getroffen? Nach fast zehn Jahren Sanktionen ist die Rehabilitation des Bildungssektors entscheidend. Die Vorbereitung der jungen Menschen auf ein verantwortungsvolles Leben muss Priorität haben. Die Jugendlichen - sie sind die unschuldigste Gruppe - brauchen schnelle Hilfe. Für Sonderprogramme auf dem Bildungssektor müssen zusätzliche Gelder bereitgestellt werden. Sehen Sie einen Ausweg? Man sollte die Verknüpfung der Waffenkontrollen mit dem Handelsembargo beenden. Das Problem von Saddams Waffen wird zur Lösung noch lange Zeit brauchen. So lange kann man die Zivilbevölkerung nicht mehr leiden lassen. Natürlich muss die Aufhebung der Sanktionen mit einer strikten Waffenkontrolle verbunden sein. Wie lange kann die Bevölkerung die derzeitige Situation noch ertragen? Ich bin immer wieder erstaunt gewesen über die Fähigkeit der Iraker, tolerant zu bleiben und mit Zähigkeit zu versuchen zu überleben. Irgendwann aber ist jedes Glas voll. Schon heute kann man sagen, dass eine ganze Bevölkerung in die Knie gezwungen wird, dass es jeden Tag mehr Menschen gibt, die abstumpfen und die nicht mehr gewillt sind, einen echten Lebenskampf zu führen. Interview Heiko Flottau
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