taz, 31.3.2000

Nicht mit aller Gewalt

Innenminister Otto Schily bestimmt: BGS-Beamte dürfen Abzuschiebende nicht knebeln, ihnen weder Helme aufsetzen noch Drogen verabreichen

BERLIN taz
Der Bundesgrenzschutz (BGS) darf Ausländer nicht mehr um jeden Preis abschieben. Wenn während der Rückführung das Leben des Ausländers gefährdet sein könnte, sollen die Beamten die Abschiebung abbrechen. Zu dieser Klarstellung sieht sich Innenminister Otto Schily (SPD) genötigt. Seit einigen Tagen ist seine neue Bestimmung "über die Rückführung ausländischer Staatsangehöriger auf dem Luftweg" in Kraft, die der taz vorliegt

Diese Bestimmung ist eine Reaktion auf den Tod des Sudanesen Aamir Ageeb während seiner Abschiebung im Mai vorigen Jahres. Die Beamten hatten ihm einen Motorradhelm übergestülpt und gefessselt. Nach dem Tod von Ageeb hatte das Bundesinnenministerium sämtliche Abschiebungen von Ausländern ausgesetzt, die sich gegen diese Zwangsmaßnahme wehrten. Auf Druck der Bundesländer nahm der BGS im vorigen November jedoch Abschiebungen auch gegen den Willen der Betroffenen wieder auf.

Nach dem Willen des Bundesinnenministeriums sind Motorradhelme, aber auch die bis jetzt üblichen Knebel und ein Verkleben von Fingernägeln ebenso unzulässig wie die bisherige Praxis der Verabreichung von Psychopharmaka. Die Gabe von Arzneimitteln darf nur noch durch Ärzte, nicht mehr durch BGS-Beamte, erfolgen. Erlaubt ist es aber, Ausländer vor und während der Abschiebung an Händen und Füßen zu fesseln. Dazu dürfen Fesseln aus Stahl, Plastik und Klettband verwendet werden.

Ein Problem sieht das Bundesinnenministerium darin, dass BGS-Beamte Erstickungsgefühle, Todesangst und Krampfanfälle von Abzuschiebenden als Widerstandshandlungen gegen die Zwangsmaßnahme fehldeuten und deshalb mit höherem Zwang reagiert hätten. Im Zweifel sollen die "Personenbegleiter Luft" wie die Abschiebebeamten vornehm heißen, jetzt lieber erste Hilfe leisten oder die Abschiebung abbrechen.

Bei Transitaufenthalten im Ausland und nach der Landung im Zielstaat sind ab sofort alle Zwangsmaßnahmen durch den BGS unzulässig, weil er keine hoheitlichen Rechte hat. Die BGSler werden im Gegenteil angehalten, im Ausland als Repräsentanten Deutschlands aufzutreten. "Dies schließt insbesondere die Achtung der Menschenwürde des Rückzuführenden mit ein", heißt es in der neuen Anweisung. Außerdem bittet Schily zu beachten, dass die abzuschiebenden Ausländer grundsätzlich Beamten im Zielland zu übergeben sind. In der Vergangenheit wurden sie oftmals einfach auf dem Rollfeld stehen gelassen.

Weiterhin soll mit Fluggesellschaften zusammengearbeitet werden, die eigene Sicherheitsleute für Abzuschiebende stellen, so dass keine BGSler mitzufliegen brauchen. Auch die Abkommen mit Staaten wie Algerien, wonach dessen Beamte die Abzuschiebenden gleich in Deutschland abholen, bleibt unangetastet.

Innenstaatssekretär Fritz Rudolf, der für die neuen Bestimmungen verantwortlich zeichnet, mahnt "im Zweifel" ein Abweichen von Bestimmungen des Ausländergesetzes an: So soll Ausländern vor ihrer Abschiebung weder Bargeld noch Wertgegenstände abgenommen werden, wenn dies renintentes Verhalten hervorrufen könnte. Laut Ausländergesetz sollen Ausländer aber für ihre "Sicherheitsbegleitung" während der Abschiebung zur Kasse gebeten werden. Gerade die Aussicht, ganz ohne Bargeld im Herkunftsland zu stehen, rufe Aggressionen hervor, so Rudolf.

Die Lockerung der Abschiebepraxis durch das Bundesinnenministerium steht im Widerspruch zu einem Vorhaben der letzten Innenministerkonferenz: Auf Initiative der Innenminister mehrerer Länder wurde im November in Görlitz eine Arbeitsgruppe gebildet, die Abschiebungen nicht erschweren, sondern erleichtern will. Nach Recherchen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel soll von der Arbeitsgruppe ein Sanktionenkatalog erarbeitet werden, der unter anderem die Rückführung "schwerstrenitenter Personen" mit eigens gecharterten Kleinstmaschinen inklusive von Fluggerät und Personal der Bundeswehr vorsieht. MARINA MAI