junge Welt , 01.04.2000 Rot-Grüner Gedächtnisschwund Am Montag Protestaktion in Kassel: Demoverbot vor Panzerwerk Kraus-Maffei/Wegmann aufgehoben Nachdem die Stadt Kassel eine Kundgebung vor der Panzerschmiede Krauss-Maffei/Wegmann verboten hatte, hob am Donnerstag nachmittag das zuständige Verwaltungsgericht das Verbot wieder auf. Damit hatte die Klage einiger PDS- Abgeordneter gegen die Verbotsverfügung das von dem Unterstützerkreis Kirchenzuflucht Gemarker Kirche und »Kein Mensch ist illegal - Wuppertal« erhoffte Ergebnis. Nun werden voraussichtlich - zeitgleich mit einem Besuch von Bundespräsident Johannes Rau in der Türkei - am Montag morgen illegalisierte kurdische Flüchtlinge aus dem Wanderkirchenasyl in Nordrhein-Westfalen den Schutz ihrer Kirchen verlassen. Ihr Ziel ist eine Rüstungsfirma, die in den letzten Wochen ungewollt in die Schlagzeilen gekommen ist. Seit die Türkei erklärte, sie plane, bis zu 1 000 Kampfpanzer zur Modernisierung ihrer Streitkräfte anzuschaffen, kann die in Kassel ansässige Firma auf ein lukratives Waffengeschäft hoffen. Krauss-Maffei/Wegmann ist Hersteller der hochmodernen Leopard-II-Kampfpanzer, die auf dem Wunschzettel der türkischen Militärs ganz oben stehen. Die Lieferung eines Testpanzers dieses Typs hatte im Herbst letzten Jahres in der Berliner Koalition zu einem heftigen Streit geführt. Nach Aufhebung des Demoverbots wollen nun alle aufrufenden Gruppen mit Nachdruck nach Kassel mobilisieren. Wichtig sei, daß die illegalisierten Flüchtlinge unbehelligt blieben. Dazu sei erheblicher öffentlicher Druck und die Beteiligung vieler Menschen nötig. Wörtlich heißt es in dem entsprechenden Aufruf: »Wir laden alle Menschen ein, die sich dem Kampf der kurdischen Flüchtlinge verbunden fühlen, mit uns nach Kassel zu fahren. Die Parole >Wir sind hier, weil ihr unser Land zerstört< manifestiert sich an keinem anderen Ort in der BRD so sehr wie vor dem Panzerwerk in Kassel. Auch Menschen ohne Papiere, auch Kurden haben ein Recht, dort zu demonstrieren, wo die Panzer gebaut werden, die in der Türkei für Vertreibung, Zerstörung und neues Elend sorgen. Wir sollten in einem breiten gesellschaftlichen Bündnis dafür sorgen, daß die Busse aus Wuppertal, voll mit von Abschiebung befrohten Menschen, ihr Ziel in Kassel erreichen.« Nicht nur der Firmenleitung von Krauss-Maffei/Wegmann dürfte die Kundgebung unangenehm sein. Auch die Politik der Bundesregierung steht damit am Pranger: neben der von »Kein Mensch ist illegal« und anderen Initiativen kritisierten Flüchtlings- und Asylpolitik sicher ebenfalls die Rüstungsexportpolitik bzw. die »Kontinuität in der Außenpolitik«. So behauptete heute auch die Schröder- Fischer-Regierung, wie zuvor Ex-Außenminister Kinkel, sie habe im Zusammenhang mit der Entscheidung zur Lieferung des Testpanzers Leopard II »keinerlei Hinweise«, daß der NATO-Partner die deutschen Leopard-I-Panzer, von denen er knapp 400 besitzt, jemals gegen die Kurden eingesetzt habe. Eine erstaunliche Aussage. Einige verantwortliche Politiker in Berlin scheinen unter Gedächtnisschwund zu leiden. Auf einer Pressekonferenz am 12. April 1994, bei der es um den vertragswidrigen Einsatz deutscher Waffen gegen Kurden ging und bei der auch SPD- und Grünen-Politiker von ihren Delegationsreisen durch die kurdischen Gebiete der Türkei berichteten, wurde folgende Erklärung verbreitet: »Das wesentliche für die heutige Pressekonferenz läßt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Zirka 300 Delegationsteilnehmer aus der Bundesrepublik, Holland, Finnland, Großbritannien, Frankreich und der Schweiz (...) haben wiederholt den Einsatz von deutschen Waffen gegen die kurdische Zivilbevölkerung beobachtet: Konkret heißt das: An den Straßenrändern, in den besetzen Dörfern, auf den Arealen der Gendarmerie- und Militärstationen wurden MAN- Truppentransporter, Spezialeinheiten mit G-3 Gewehren der Marke Heckler&Koch, BTR-60-Schützenpanzer aus NVA- Beständen, gepanzerte Kampfwagen des Typs MTW M 113, sowie Leopard I-Panzer, gesehen und fotografiert, und das definitiv.« Damit zukünftig zu dieser Bilanz nicht auch noch die hochmodernen Leopard-II-Kampfpanzer gehören, stemmen sich zahlreiche Friedensorganisationen gegen den geplanten Panzer-Deal. Am Montag ab 13 Uhr auch vor der Firma Krauss-Maffei/Wegmann in der August-Bode-Str. 1. Thomas Klein
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