Westfälische Nachrichten, 1.4.2000 Ein Leben im Ungewissen Ibbenbüren: Familie Abdi träumt von Frieden Von Simone Hoffmann Ibbenbüren - »Klack« hallt es durch den langen Flur. Dann ist es stockdunkel. »Drei-Minuten-Tippschalter«, erklärt Selcuk Özdemir, Sozialarbeiter des Begegnungszentrums, das plötzliche Schwarz. »Das sind unsere Sparmaßnahmen.« »Klack« - drei Minuten Licht reichen, um die Haustüre der kurdischen Familie Abdi zu finden. Sie wohnen im Ibbenbürener Übergangswohnheim. Aber von »Übergang« kann hier eigentlich keine Rede sein: »Wir leben seit vier Jahren hier«, erzählt Frau Shadia Abdi und zeigt auf den rund 25 Quadratmeter großen Raum. »Schlafen, essen, wohnen - alles hier.« Angefangen hat die Heimatlosigkeit der Familie eigentlich schon in ihrer Heimat Syrien. Herr Khalil Abdi war dort seit über 15 Jahren für »seine« Partei tätig, und wer danach fragt, bekommt sofort zahlreiche Dokumente, Fotos und Manifeste zu sehen, die seine Mitgliedschaft belegen. Was Shadia angeht, so weiß sie erst, seit sie Khalil geheiratet hat, was das heißt, in Syrien für die kurdische Partei tätig zu sein: »Von Politik hatte ich keine Ahnung. Seit ich geheiratet habe, sind so viele Probleme gekommen.« Sie lacht, wenn sie das sagt und schlägt scherzhaft die Hände über dem Kopf zusammen. Aber nach Lachen ist ihr, der 24-jährigen Mutter eines drei- und eines fünfjährigen Sohnes, nicht immer zumute. Ihre Familie, ihr Haus, ihre Heimat - alles hat sie hinter sich gelassen für ein Leben mit Khalil. Und vor ihr liegt eine ungewisse Zukunft. Vor vier Jahren also ist das Ehepaar mit ihrem Sohn Mohamed, damals war der Junge Magid noch nicht geboren, nach Ibbenbüren gekommen. In Frankfurt sind sie angekommen, die Hochzeitsfotos unter dem Arm, die Kleidung am Körper. »Mein Universitätsdiplom konnte ich noch einstecken«, sagt Khalil. In Aleppo hat er Psychologie studiert und auch seinen Abschluß gemacht. Am Samstag ist er 40 Jahre: »Zum Heiraten hatte ich lange keine Zeit. Mit dem Studium und der Partei-Arbeit war ich voll ausgelastet.« Die Partei: Yekiti nennt sie sich, übersetzt heißt das »Kurdische demokratische Partei der Einheit Syriens«. Und weil er sich immer schon bei Yekiti engagierte, mußten er und seine Familie damals aus der Heimat fliehen. Zweimal schon wurde Khalil in Syrien für zwei Monate festgenommen. »Wir durften nicht kurdisch sprechen, nur arabisch«, erzählt Shadia. Die Kurden in Syrien, sagen die Abdis, haben keinerlei Rechte, keine politische Vertretung, kein Recht auf ihre Sprache, keine eigenen Schulen. Dafür kämpfte und kämpft Khalil, der sich übersetzt »Freund« nennt. Und weil er sich auch in Deutschland für die Rechte seines Volkes engagiert, wird eine Rückkehr in die Heimat immer gefährlicher: »In Bonn auf einer Kundgebung habe ich eine Rede gehalten. Aus der syrischen Botschaft wurde Aufnahmen davon gemacht.« Khalil sagt, wenn er nun wieder zurückkäme, würde er sofort verhaftet. Und was dann passiert, hat Shadia am eigenen Leib erfahren: »Die syrischen Polizisten sagten damals, sie suchen meinen Mann. Und weil ich nicht wußte, wo er ist, haben sie getreten.« So lange, bis sie - im achten Monat schwanger - ihr Kind verlor. Als Selcuk Özdemir den Raum betritt, bestürmt Shadia ihn sofort: »Was hast du herausgefunden?« Der Sozialarbeiter will Khalil Arbeit in einer Ladbergener Süßwarenfabrik verschaffen. Das wäre ein großer Schritt für die Familie: »Wir wollen keine Sozialhilfe mehr«, betont Shadia. Aber auch, wenn die Abdis ihr eigenes Geld zur Verfügung haben, schwebt die mögliche Ausweisung durch das münstersche Verwaltungsgericht wie ein Damoklesschwert über ihnen. Trotzdem haben sie Hoffnung, versuchen, ein - unter den gegebenen Umständen - normales Leben zu führen. Khalil kümmert sich um seine Partei, Shadia um die Kinder, das Essen. »Die Deutschen sind sehr gut zu uns«, betonen sie. Und wenn in Erfüllung geht, was ihre leuchtenden Augen sich so sehr wünschen, dann haben sie bald einfach nur »Frieden«.
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