taz, 3.4.2000 Seite 18

"Die Medien verstärken den Rassismus"

Die deutschen Medien, allen voran der "Spiegel", haben sich das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft auf die Fahnen geschrieben. So die Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges in einem Gespräch über Medien und multikulturelle Gesellschaft

Interview ULRICH NOLLER

taz: Herr Butterwegge, welche Rolle spielen die Medien für die multikulturelle Gesellschaft?

Christoph Butterwegge: Sie haben eine Schlüsselrolle. Aber so, wie sie gegenwärtig agieren, würde ich sagen, sie haben sich eher das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft auf ihre Fahnen geschrieben. Damit tragen sie mit dazu bei, das Zusammenleben zwischen Migranten und Einheimischen schwieriger zu machen. Sie erzeugen keinen Rassismus. Aber sie verstärken ihn.

Was für ein Bild zeichnen die Medien von Einwanderern?

Butterwegge: Das Bild ist sicher sehr facettenreich. Aber wenn man sich die Berichterstattung kritisch ansieht, merkt man, dass Migranten häufig mit Kriminalität in Zusammenhang gebracht werden - wenn zum Beispiel von ausländischen Banden und Ähnlichem die Rede ist. Dadurch wird ein negatives Bild von Migranten gezeichnet.

Welche Funktion hatten Medien bei der Diskussion der Asylgesetzgebung?

Butterwegge: Sie betätigten sich als Scharnier zwischen einem Elitenrassismus von oben und einem Massenrassismus von unten. Einerseits haben sie darüber berichtet, wie Deutsche die Fremden ablehnten, insbesondere wenn sie sozial benachteiligt waren. Damit haben sie den Politikern gewissermaßen die Legitimation verschafft, das Grundrecht auf Asyl einzuschränken. Andererseits haben sie für die Masse der Bevölkerung berichtet, welche Schritte Politiker eingeleitet haben, um die Zuwanderung zu erschweren. Damit wiederum haben sie dem Glauben Nahrung gegeben, dass die da oben schließlich auch gegen Migranten und gegen Migration handeln. Denen, die Flüchtlingswohnheime angesteckt haben, haben sie ein gutes Gewissen vermittelt: Das zu tun sei im Sinne der allgemeinen Volksstimme und auch im Interesse der Politik, die zunächst sehr zögerlich agiert hat. Letztlich haben die Medien das Bild evoziert, es müsse endlich etwas getan werden gegen die heranflutenden Massen an Migranten. Sie haben diese Stimmung erzeugt, die ja geradezu kampagnenhaft war. Die Asyldiskussion ist ein sehr negatives Beispiel, wenn man die Rolle der Medien untersucht. Eigentlich sollten sie ja eine positive Rolle für ein multikulturelles Zusammenleben spielen.

Gibt es ausschließlich diesen negativen Ton bei der Berichterstattung?

Butterwegge: Wir beschreiben in unserem Buch (s. Text unten) auch positive Beispiele. Dass etwa über die Schwierigkeiten berichtet wird, die Migranten haben, beispielsweise mit deutschen Behörden, mit Polizei und Sicherheitskräften. Dass sie leichter verdächtigt werden, aufgrund ihres "fremden" Aussehens.

Sie sprechen von der "Ethnisierung der Politik durch Massenmedien". Was ist damit gemeint?

Butterwegge: Mit Ethnisierung bezeichnen wir einen Prozess, durch den Menschen zu Fremden gemacht oder konstruiert werden. Wir gehen davon aus, dass im Menschen keine naturwüchsige Ablehnung des Fremden wurzelt. Sondern dass das Fremde gesellschaftlich und politisch konstruiert wird. Dazu tragen die Medien bei, indem sie das Fremde auf unterschiedliche Art und Weise beleuchten, häufig in eher negativer Weise. Damit erzeugen sie natürlich auch Abwehr und Ablehnung des Fremden.

Das Fremde stößt aber nicht erst in der Mediengesellschaft auf Ablehnung ...

Butterwegge: Die Medien spielen erst in jüngster Zeit eine Schlüsselrolle im Zuwanderungsprozess. Wenn man zurückblickt in die Geschichte, dann haben andere Sozialisationsinstanzen diese Funktionen inne gehabt, die die Medien heute übernommen haben. Im Kaiserreich hat beispielsweise die Schule gegen Fremdes immunisiert, so wie es heute zumindest teilweise auch die Medien tun.

Inwiefern hängt das Bild, das Medien von Zuwanderern konstruieren, mit dem Bild der Nation zusammen?

Butterwegge: Der Rassismus ist eine Art siamesischer Zwilling des Nationalismus. Beides sind Weltanschauungen, die sich in der Ablehnung von Fremden positionieren. Umgekehrt trägt natürlich die Beleuchtung des Fremden immer dazu bei, die eigene Identität zu konstruieren.

Der Bundesrepublik diagnostizieren sie wachsenden Nationalismus?

Butterwegge: Nationalismus ist im vereinigten Deutschland eine Ideologie, die an Gewicht gewinnt, und die natürlich auch Veränderungen erlebt. Ich sehe zum Beispiel eine Modernisierung des Nationalismus, die ich als "Standortnationalismus" bezeichne. Also die Ideologie, die den eigenen Wirtschaftsstandort Deutschland an Stärke gewinnen lassen will. Sie definiert sich dadurch in Konkurrenz zu anderen, zu den Fremden.

Kann man in der Qualität der Berichterstattung zwischen verschiedenen Medien unterscheiden? Oder gibt es einen generellen Trend zu negativer Berichterstattung über Einwanderer?

Butterwegge: Journalist ist nicht gleich Journalist, und man muss schon sehr genau unterscheiden. Wenn man das Beispiel der Printmedien nimmt, ist natürlich die FAZ mit der taz nicht gleichzusetzen. Man wird in einer kritischen Medienanalyse die jeweiligen Medien sehr genau untersuchen müssen. Das haben wir in Teilbeiträgen dieses Bandes auch versucht. Es ist aber nur der Beginn einer Analyse, die noch weiter ausdifferenziert werden muss.

Mit dem "Spiegel" haben Sie sich schon einmal eingehender beschäftigt.

Gudrun Hentges: Der Spiegel hat ganz entscheidend dazu beigetragen, das Gefühl von Überflutung, und Überschwemmung zu wecken. Er hat im Grunde genommen einer Politik den Boden bereitet, die ausgerichtet war auf die Abschaffung des Rechts auf Asyl.

Sie vergleichen die Berichterstattung des "Spiegel" mit den Beiträgen rechtsextremer Publikationen. Ist das legitim?

Hentges: Vergleichen kann man mal alles, gleichsetzen nicht. Man findet aber sowohl in rechstextremen Publikationen als auch in solchen der Neuen Rechten bestimmte Motive, die man auch im Spiegel findet. Beispielsweise die Angst vor Überfremdung, vor Verlust einer kulturellen Homogenität. Man ist sich bewusst, dass man Einwanderung schon deswegen akzeptieren muss, um den Generationenvertrag aufrecht zu halten. Aber man fordert eine Selektion der Zuwanderer.

Nach welchen Maßstäben soll selektiert werden?

Hentges: Der Maßstab, der angelegt wird, ist die Leistungsfähigkeit, die Qualifikation, die Bereitschaft sich zu integrieren und die Bereitschaft, eigene Sprache und Kultur aufzugeben. Zentrales Kriterium ist im Grunde genommen eine Bereicherung der Einwanderung für die Mehrheitsgesellschaft.

Bei der Lektüre Ihres Buches kann man mitunter den Eindruck gewinnen, als gäbe es in den Medien einen Kulturkampf zwischen Nationalisten und Befürwortern der multikulturellen Gesellschaft. Ist das so?

Butterwegge: Kulturkampf scheint mir ein etwas starkes Wort zu sein. Ich würde eher dazu neigen, ein ganz breites und sehr vielfältiges Spektrum zu sehen. Es stehen nicht zwei Fronten gegeneinander, sondern es stehen unterschiedliche Positionen im Raum. Wie sich am Ende die Gesellschaft entwickeln wird, ob sie sich endlich als Einwanderungsland begreift oder weiter in völkisch-nationalistischen Kategorien denkt, das will ich nicht prognostizieren. Aber unser Band ist hoffentlich ein Beitrag dazu, hier Reformen im demokratischen Sinne voranzubringen.