junge Welt 05.04.2000

Green Card - die Guten ins Töpfchen

Streit um Einwanderungsquoten untergräbt auch Asylrecht.

jW-Bericht

Die Bevölkerungsabteilung der Vereinten Nationen hat in einer Studie festgestellt, daß Deutschland jährlich 6 000 Zuwanderer pro eine Million Einwohner bräuchte, um die Zahl der erwerbsfähigen Menschen stabil zu halten. Die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen gab diese Ergebnisse am Montag in Berlin bekannt. Demzufolge sei es notwendig, daß jährlich 450 000 Einwanderer ins Land kämen, sonst würde zudem das Renteneintrittsalter auf 77 Jahre steigen müssen. Währenddessen werden in Deutschland die Scheingefechte im Zusammenhang mit der Anwerbung ausländischer Spezialisten für die deutsche Computer- und Softwarebranche fortgesetzt. Nachdem der nordrhein-westfälische CDU-Chef Jürgen Rüttgers wegen seiner Anti- Green-Card-Wahlkampagne in das Schußfeld von Regierung und Medien gekommen war, bezogen jetzt auch die Länderinnenminister von CDU und CSU Stellung. Die Innenminister signalisierten der Bundesregierung grundsätzliche Zustimmung zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte für die IT-Branche, schränkten in ihren am Montag veröffentlichten ausländerpolitischen Thesen aber stark ein, daß »die Anwerbung qualifizierter Fachkräfte von Staaten außerhalb der EU« nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zur Abdeckung des aktuellen Bedarfs zugelassen werden solle. Bayerns Innenminister Günther Beckstein sprach von »nobelpreisverdächtigen Spezialisten«, die er gern hier hätte. Rüttgers, der »Zukunfts«-Minister unter Helmut Kohl war, setzt in seinem Wahlkampf derzeit zwar auf populistische Attacken gegen die geplante Anwerbung ausländischer Fachkräfte. Schließlich hatte im vergangenem Jahr Roland Koch in ähnlicher Manier bereits die Wahlen für die CDU in Hessen gewonnen. Aber Rüttgers weiß selbst, daß der Ruf der Wirtschaft letztlich ein Befehl ist, und er sich spätestens am Tage eines Wahlsieges auch danach zu richten hätte. Der ganze Rummel um die Green Card wird sich letztlich nur als Vehikel erweisen, um eine Zuzugs- und Einwanderungspolitik im Sinne des Kapitals durchzuboxen. Dazu gehören auch Bestrebungen, das ohnehin nur auf dem Papier stehende Grundrecht auf Asyl abzuschaffen. Mit ihrem Vorstoß zur Abschaffung dieses Grundrechts hat die CDU/CSU eine Debatte eröffnet, die wohl erst in einigen Jahren ihren Abschluß findet. Denn bis 2004 soll ein gemeinsames Asylrecht für alle 15 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union eingeführt werden. Der Europäische Rat wird voraussichtlich bis dahin einheitliche Regeln für Asyl und Einwanderung festlegen. Die Union geht offenbar davon aus, daß sich die rechtlich schwächeren Asylbestimmungen anderer Länder bei der Vereinheitlichung durchsetzen werden. Jedermann erwarte, daß die Asylrechte der übrigen EU- Staaten Standard würden, »aber nicht die derzeitigen deutschen Regelungen«, sagte vor drei Wochen CSU- »Sozialexperte« Johannes Singhammer in der »Welt«. Damit stellte er als einer der ersten Unionspolitiker das deutsche Asylgrundrecht in Frage, dessen Abschaffung inzwischen Unionsfraktionschef Friedrich Merz und der CSU- Landesgruppenchef Michael Glos offen fordern. In der Tendenz dieser Entwicklung treffen sich dann CDU und SPD wieder. Einwanderungsquoten könnten festgelegt werden, die letzlich nur von Kosten-Nutzen-Kriterien für die Wirtschaft bestimmt sind. Insofern ist die derzeitige Initiative zu den Green Cards ein Schritt in diese Richtung. Es steht zu befürchten, daß bei Einwanderungsquoten nach dem »Aschenputtel-Prinzip« vorgegangen wird. Dann werden Asylbewerber und Flüchtlinge keine grünen, sondern noch schlechtere Karten haben.