junge Welt Feuilleton 06.04.2000 Leben mit Krieg Neue kurdische Literatur bei Unrast Neben den Romanen Yasar Kemals bestimmten bisher vor allem politische Schriften das Bild kurdischer Literatur in Deutschland. Nun hat sich der engagierte Unrast Verlag entschlossen, eine Edition anspruchsvoller kurdischer Literatur zu verlegen. Herausgeber der nach dem Wahrzeichen Kurdistans, dem biblischen Berg Ararat, benannten Edition ist der Literaturwissenschaftler Yusuf Yesilöz. In Deutschland wurde Yesilöz bekannt durch sein Buch »Vor Metris steht ein hoher Ahorn«, in dem er seine Hafteindrücke in türkischen Gefängnissen geschildert hat. Wegen der Herausgabe einer »Einführung in die kurdische Literatur« war er bei einer Türkei-Reise 1996 wochenlang gefangengehalten und gefoltert worden. Als erster Band der Edition Ararat ist »Schnee auf schroffen Bergen« der Schriftstellerin Sutan Samanci erschienen. Im Gegensatz zu vielen anderen Intellektuellen hat sie das Land nicht verlassen und lebt bis heute in Kurdistans heimlicher Hauptstadt Diyarbakir. Diese Erfahrung verleiht ihrem Werk Aktualität und Realismus. Diyarbakir ist das Zentrum des kurdischen Widerstandes. Mitte der 90er Jahre regierte die Doppelherrschaft in der Großstadt. Tagsüber dominierte das türkische Militär mit Panzern die Straßen. Nachts bewegte sich die PKK-Guerilla unter der Bevölkerung. Militärisch hat der türkische Staat inzwischen die Hoheit über die Stadt zurückgewonnen, aber politisch dominiert die kurdische Nationalbewegung. Mit absoluter Mehrheit wählten die Einwohner von Diyarbakir einen kurdischen Bürgermeister und dieses Jahr feierten Hunderttausende erstmals fast ungestört das Newroz-Fest. In ihren Kurzgeschichten beschreibt Suzan Samanci eindrucksvoll das Leben in der belagerten Stadt und dem besetzten Land. Sie zieht den Leser mit Schilderungen über das bunte Leben in der Stadt und die Schönheit der Natur in ihren Bann. Doch jedesmal brechen die Träume jäh ab. Ferne Explosionen, ein Düsenjäger oder das Rasseln der Panzerketten erinnern daran, daß in Kurdistan Krieg herrscht. Allgegenwärtig ist die Angst: »Klick klack« - das Geräusch des Spannens einer Waffe verfolgt die Menschen noch im Schlaf. Hunderte kurdischer Intellektueller, Gewerkschafter und Künstler, darunter der Nationalschriftsteller Musa Anter, wurden von Todesschwadronen auf offener Straße ermordet oder verschleppt. Schnell wechseln die Identitäten der Erzähler. Mal ist es ein Guerillakämpfer, der vor dem Kampf die Schönheit der Berge genießt. Dann wird die seelische Zerrüttung eines Folterspezialisten der Konterguerilla geschildert, der sich selbst richtet. Auf einer wahren Begebenheit beruht die Schilderung der letzten Eindrücke im Leben des Arztes Hasan Kaya und den des Anwalts Metin Can. 1993 wurden sie von der Konterguerilla in eine Falle gelockt und ermordet. »Wenn ich versuche, die Schreie, die ans Ohr dringen, in Lieder zu verwandeln, möchte ich aus den Spuren des häßlichen Krieges Tauben mit Ölzweigen im Schnabel aufsteigen lassen«, drückt Frau Samanci ihre Hoffnung auf einen Friedensprozeß in ihrer Heimat aus. Den Niedergang eines kurdischen Dorfes beschreibt der im schwedischen Exil lebende Schriftsteller Mahmut Baksi im zweiten Band der Edition Ararat, dem Roman »Dono«. Lange ist Dono ein blühendes Dorf gewesen, in dem Kurden und Armenier nachbarschaftlich zusammenlebten. Doch der Staat hetzt die Völker gegeneinander auf. Die Armenier werden vertrieben. Als die Dorfgemeinschaft einmal zerstört ist, sind die kurdischen Bewohner selbst das nächste Opfer. Der türkische Staat duldet, daß der kurdische Großgrundbesitzer Aga Haci Zorav das Dorf unterwirft. Er läßt moderne Technologie einziehen und die kurdischen Landarbeiter vertreiben. »Mit dem Auszug der Armenier und der Ankunft der Traktoren ändert Dono sein Gesicht. Das ehemals blühende Dorf, der Ort der Väter und Vorväter, wird jedes Jahr kleiner, zerfallener, melancholischer.« Doch auch der Aga ist an die Regeln des Feudalismus gebunden. Als er eine junge Frau gegen ihren Willen zur Drittfrau nimmt und seinen Berater der Polizei ausliefert, richten ihn die Dorfbewohner. Nick Brauns *** Suzan Samanci: Schnee auf schroffen Bergen (Edition Ararat Bd. 1). Unrast Verlag, Münster 2000, 124 Seiten, DM 24,80 Mahmut Baksi: Dono (Edition Ararat Bd. 2). Unrast Verlag, Münster 2000, 106 Seiten, DM24,80
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