junge Welt Inland 06.04.2000 Zug vor die Panzerhochburg Kurden und Deutsche protestierten in Kassel gegen drohenden Export von Leopard II in die Türkei Gegen Abschiebungen und Waffenexporte in die Türkei demonstrierten am Montag mittag etwa 100 Menschen vor der Kasseler Panzerschmiede von Krauss-Maffei/Wegmann. Eine Teilnehmerzahl, die für die Veranstalter keine Enttäuschung darstellt: Schließlich habe es sich um einen normalen Arbeitstag gehandelt und vor diesem Hintergrund sei die Kundgebung vor der Panzerfabrik auch mit einer zahlenmäßig nicht so großen Beteiligung schon ein Erfolg. Immerhin gelang es, das Medieninteresse auf die Profiteure beim »Geschäft mit dem Tod« zu lenken. Der Montag war den Demonstranten wichtig, weil Bundespräsident Johannes Rau an diesem Tag zu einem Staatsbesuch in die Türkei aufbrach - eine Reise, die bisher kaum Beachtung erfahren hatte. Auch 20 kurdische Flüchtlinge folgten dem Aufruf zur Demonstration, die unter dem Motto stand »Wir sind hier, weil ihr unser Land zerstört«. Die Kurden, die sich in Nordrhein- Westfalen im Wanderkirchenasyl befinden, hatten sich während der Veranstaltung aus dem Schutz des Kirchenasyls begeben. Nicht ungefährlich, da bei einem Polizeizugriff sofortige Abschiebung in die Türkei droht. Ein kurdischer Vertreter des Wanderkirchenasyls appellierte bei der Kundgebung vor den Werkstoren des Panzerproduzenten an die deutschen Stellen, den von Abschiebung bedrohten Menschen ein Bleiberecht zu gewähren. Schließlich drohe ihnen in der Türkei Verfolgung, Folter und Mord. Es gebe zahlreiche Beispiele dafür, daß aus Deutschland abgeschobene Kurden sofort verhaftet und gefoltert würden, deshalb sei eine drastische Änderung der deutschen Flüchtlings- und Asylpolitik dringend geboten. Ein Aspekt, auf den auch Thomas Klein, Sprecher der bundesweiten, in Wiesbaden ansässigen Kampagne gegen Rüstungsexport, in seinem Redebeitrag hinwies: Es sei schon eine makabre Situation, daß die Menschen, die nicht zuletzt vor deutschen Waffen auf der Flucht seien, in das Land abgeschoben würden, in denen ihre Dörfer zerstört wurden, in denen schlimmste Verfolgung drohe und das gleichzeitig weiterhin mit Waffen »versorgt« werde. »Der massenhaft stattfindende, vertragswidrige Einsatz deutscher Waffen ist seit langem belegt«, sagte Klein, »warum verkündet Außenminister Fischer kein Rüstungsembargo? Das war doch die Forderung vieler SPD- und grüner Politiker zu Oppositionszeiten. Bedeutet an der Regierung zu sein, Mithilfe bei Vertreibungen, Zerstörungen und Krieg leisten zu müssen?« Dazu ließ die grüne Politikerin Claudia Roth, Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, an die Demonstranten per Grußadresse erklären, für sie sei es keine Frage, daß es keine Waffenlieferungen an die Türkei geben dürfe. Schließlich wisse sie aus eigener Betrachtung, daß es im kurdischen Krisen- und Kriegsgebiet zugehe »wie auf einem deutschen Truppenübungsplatz«, mit dem Unterschied, daß der Einsatz der Waffen nicht im Rahmen eines Übungsmanövers, sondern bei kriegerischen Auseinandersetzungen stattfinde. Auch die Einführung einer Menschenrechtsklausel bei den neu gefaßten Bestimmungen zu Rüstungsexporten stehe einer weiteren Aufrüstung der Türkei klar entgegen. Für Peter Gingold, Sprecher der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN), ist es »eine Schande, daß Deutschland wieder zu den führenden Waffenexporteuren gehört. Das hätten wir uns 1945 nicht träumen lassen. Deutschland sollte sich doch nie wieder beim >Geschäft mit dem Tod< hervortun.« Eine Position, die Ulla Schmelting- Hebeler, grüne Landtagsabgeordnete aus Nordrhein- Westfalen, uneingeschränkt teilte. »Es sollte überhaupt keine Waffenexporte geben. Und es darf schon gar keine Waffenlieferungen an die Türkei geben. Ich sage das, damit ihr wißt, daß es bei den Grünen auch viele gibt, die mit der Politik in Berlin nicht einverstanden sind.« Die Befürchtungen der Stadt Kassel, die die Demonstration zunächst verboten hatte, weil wegen der Teilnahme kurdischer Flüchtlinge angeblich die Sicherheit und Ordnung gefährdet sei, erwiesen sich als Hirngespinst. Erst durch einen Spruch des Kasseler Verwaltungsgerichts war die Verbotsverfügung für die auch von den PDS-Bundestagsabgeordneten Ulla Lötzer und Winfried Wolf angemeldete Demonstration kurzfristig aufgehoben worden. Darüber freute sich auch der örtliche DGB-Vorsitzende: »Zukünftig ist das Ordnungsamt hoffentlich wieder etwas aufgeschlossener«. Schließlich gebe es in Kassel Orte, an denen es sich lohne zu demonstrieren. Neben dem Leopard-II-Produzenten Krauss-Maffei/ Wegmann ist auch der Waffenproduzent Henschel in der nordhessischen Stadt zu Hause. Wie agiert man gegen diese Waffenhochburgen? Über den Werkszaun rief ein Kurde am Montag: »Bitte schickt keine Panzer. Unsere Dörfer werden zerstört, unsere Familien vertrieben und umgebracht. Ihr dürft die nicht liefern«. Die Entscheidung dazu muß noch in diesem Jahr die rot-grüne Regierungsspitze in Berlin fällen. Tim Neumann
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