Frankfurter Rundschau, 7.4.2000 Rau weist Ankara den Weg Bundespräsident fordert Ende von Todesstrafe und Folter Von Knut Pries Bundespräsident Johannes Rau hat zu Beginn seines dreitägigen Besuchs in der Türkei das Gastgeberland zu Reformen auf dem Weg in die EU aufgefordert. ANKARA, 6. April. Im Gespräch mit seinem Amtskollegen Süleyman Demirel hat Bundespräsident Rau am Donnerstag betont, dass die EU nicht nur ein freier Markt, sondern auch eine Wertegemeinschaft sei. Über diese Werte müsse man streiten. "Der Weg zum Ziel hat begonnen, und wer ihn geht, weiß, dass es auf seine Fortschritte ankommt, wann das Ziel erreicht wird." Die Beitrittsfähigkeit der Türkei müsse allerdings ergänzt werden durch die Aufnahmefähigkeit der Union. Deutlicher wurde der Bundespräsident in einer Rede vor Studenten der Technischen Universität in Ankara, wo ihm die Ehrendoktorwürde verliehen wurde. Rau bezog sich ausrücklich auf den freien Wettstreit der Meinungen in der Demokratie, den Schutz von Minderheiten und die Menschenrechte. In einem europäischen Rechtsstaat hätten Todesstrafe und Folter keinen Platz. Manches lasse sich nicht von heute auf morgen ändern. "Aber das Tempo der Veränderungen bestimmt die Türkei selbst", hieß es in dem vorab verbreiteten Text der Ansprache. Demirel, der nach dem Scheitern einer Verfassungsänderung sein Amt Mitte Mai abgeben muss, nahm für sein Land in Anspruch, eine funktionierende Demokratie zu sein. Menschenrechtsverletzungen kämen zwar vor. Das gelte aber auch für andere Länder und sei "nicht Politik des Staates oder der Regierung". Die Türkei bemühe sich "außerordentlich, diese Menschenrechtsverletzungen auf ein Minimum zu reduzieren oder ganz abzuschaffen." Auf Raus Bedauern, den letzte Woche erneut inhaftierten Menschenrechtler Akin Birdal nicht treffen zu können, ging Demirel nicht ein. Rau traf am ersten Tag seines Besuchs in Ankara und Istanbul auch mit Ministerpräsident Bülent Ecevit zusammen, der seine Drei-Parteien-Koalition mit dem Versuch in eine Krise gesteuert hat, Demirel eine zweite Amtszeit zu sichern. Neben ihren EU-Ambitionen trug die türkische Seite dem Gast vor allem ihre Kritik an der jüngst in Berlin gerichtlich bestätigten Genehmigung für islamische Gemeinschaften vor, in deutschen Schulen Religionsunterricht abzuhalten. Demirel und Ecevit haben ihre Einwände an Rau und an Bundeskanzler Gerhard Schröder auch schriftlich übermittelt. Der Bundespräsident plädierte nach Auskunft seiner Mitarbeiter für "einen staatlich verantworteten Islam-Unterricht auf Deutsch." |