Die Welt, 7.4.2000 Demirels Niederlage stärkt den Einfluss der Rechtsparteien Parlament verweigert Premier Verfassungsänderung Von Evangelos Antonaros Ankara - In der Türkei hat die Suche nach einem neuen Staatschef begonnen. Zum zweiten Mal in wenigen Tagen ist die türkische Koalitionsregierung mit ihren Plänen im Parlament gescheitert, Staatspräsident Süleyman Demirel eine zweite Amtsperiode zu ermöglichen. Nur 303 von 351 Abgeordneten der drei Koalitionsparteien unterstützten die von Regierungschef Bülent Ecevit bis zuletzt hartnäckig unterstützte Vorlage. Das Abstimmungsergebnis wirft einen dunklen Schatten auf das Ansehen der Regierung. Ecevit bekräftigte zwar nach der Niederlage seine feste Absicht, "in voller Harmonie" mit seinen Partnern die Koalition aufrechtzuerhalten. Für ihn stellt sich nun jedoch die praktische Frage, ob er sich künftig auf das Wort seiner Koalitionspartner verlassen kann. Auch bei den Vorbereitungen zur kleinen Verfassungsreform hatten sie ihm volle Unterstützung zugesagt. Dennoch tanzten zahlreiche Abgeordnete der Rechtsnationalisten und der von Ex-Premier Mesut Yilmaz geführten Mutterlandspartei aus der Reihe und durchkreuzten die Pläne des maßlos verärgerten Premiers. Andererseits hat Ecevit ein großes Interesse daran, seine seit einem knappen Jahr im Amt befindliche Koalition fortzuführen. Und nicht nur, weil zahlreiche Reformvorhaben bei einer Regierungskrise auf der Stelle treten würden. Vor allem muss er befürchten, dass im Fall von Neuwahlen die rechtsorientierte Nationalistische Bewegung (MHP), die zur Zeit an der Koalition beteiligt ist, als stärkste Partei hervorgehen und den Anspruch auf das Amt des Regierungschefs erheben würde. Nicht zuletzt aus diesem Grunde hat Ecevit nichts unversucht gelassen, um die Wiederwahl seines ehemaligen Erzrivalen Demirel zu ermöglichen. Nun ist es gut möglich, dass die MHP mit der Forderung kommt, einen eigenen Mann zum neuen Staatsoberhaupt wählen zu lassen. Zahlreiche Namen werden genannt, sichere Kandidaten gibt es bisher nicht. Erst vom 16. April an können dem Parlament Vorschläge gemacht werden, anschließend sollen die Abstimmungen beginnen. Verfehlen alle Kandidaten die nötige Mehrheit, muss es zu Neuwahlen kommen. Der neue Staatschef muss am 16. Mai sein Amt antreten. Zahlreiche Beobachter in Ankara vermerken nicht völlig zu Unrecht, dass der Aufstand der Abgeordneten, die sich nicht einmal von einer in Aussicht gestellten Diätenerhöhung beeindrucken ließen, einer "Emanzipation des Parlaments" gegenüber den Parteibossen gleichkomme. "Die Abgeordneten lassen sich nicht mehr alles gefallen", schrieb Mehmet Ali Birand. Überzeugender ist jedoch die Vermutung, dass viele Parlamentarier eine Stimmung beim Volk wiedergaben, die auch von Meinungsumfragen bestätigt wird. Mehr als 65 Prozent aller Türken halten von einer zweiten Amtsperiode Demirels nichts. Mit Demirels Abgang geht eine der längsten politischen Karrieren in der modernen Geschichte der Türkei zu Ende: Zahlreiche Zeitungen verabschiedeten sich am Donnerstag auf ihren Titelseiten vom 76-jährigen Vollblutpolitiker, der seit 1964 aktiv ist, sieben Mal Ministerpräsident war, zweimal vom Militär gestürzt wurde und immer wieder ein Comeback feiern konnte. Von Nostalgie war in der Berichterstattung der türkischen Presse jedoch kaum etwas zu spüren. "Niemand scheint Demirel eine Träne nachzuweinen", bemerkte ein westlicher Diplomat. |