taz,7.4.2000 Neuer Präsident gesucht Nach der gescheiterten Verfassungsänderung in der Türkei ist nun völlig unklar, wer die Nachfolge des scheidenden Süleyman Demirel antreten soll ISTANBUL taz Was viele befürchtet haben und Ministerpräsident Bülent Ecevit unbedingt verhindern wollte, ist jetzt eingetreten. Die Wahl eines neuen Staatspräsidenten hat die Türkei in eine innenpolitische Krise gestürzt. Nachdem am Mittwochabend das Parlament in Ankara es auch im zweiten Anlauf abgelehnt hat, die Verfassung so zu ändern, dass Staatspräsident Süleyman Demirel zu einer zweiten Amtszeit wieder gewählt werden kann, steht das Land nun ohne einen allgemein anerkannten Kandidaten für das höchste Amt im Staate da. Präsidentenwahlen waren in der Türkei schon häufig heikle Angelegenheiten. Obwohl der Präsident wie in der Bundesrepublik eher repräsentative Aufgaben hat, gilt das Amt als Krönung jeder Politiker - oder auch Generalskarriere. Um es dieses Mal erst gar nicht zu einem großen Kampf kommen zu lassen, hatte Ministerpräsident Ecevit schon vor Monaten dafür votiert, die Verfassung so zu ändern, dass Demirel eine zweite Amtszeit ermöglicht wird. Doch Demirel hatte nicht nur in den Parteien viele Gegner, auch bei Umfragen sprachen sich 70 Prozent gegen ihn aus. Nach seiner zweiten Niederlage im Parlament ist nun Ministerpräsident Ecevit selbst schwer angeschlagen. Nicht nur sein politisches Projekt ist gescheitert, sondern seine Autorität als Regierungschef ist drastisch gesunken. Statt rechtzeitig auf eine Alternative zu Demirel zu setzen, hat Ecevit seine Regierung sehenden Auges in die Krise geführt. Jetzt wird es umso schwerer, einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten der Regierungskoalition zu präsentieren, einmal weil jede Partei nun auf ihrem Kandidaten bestehen wird und Ecevit nicht mehr die Kraft hat, einen Kandidaten seiner Wahl durchzusetzen. Dazu kommt, dass für eine Nominierung nur noch zehn Tage Zeit bleiben. In den Startlöchern steht der Vorsitzende der konservativen Anap, Ex-Ministerpräsident Mesut Yilmaz, und Verteidigungsminister Çakmakoglu von der rechtsextremen MHP. Interesse an dem Amt hat bereits vor einigen Monaten auch Ex-General Cevik Bir angemeldet. In der jüngeren Generation ist vor allem Außenminister Ismael Cem sehr populär. Keiner dieser möglichen Kandidaten kann jedoch aus dem Stand auf genügend Unterstützung über seine eigene Partei hinaus hoffen. Vertreter der Wirtschaftsverbände haben bereits in den letzten Tagen mehrfach ihren Unmut darüber geäußert, dass die politische Klasse sich ausgerechnet jetzt hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Auf der politischen Agenda steht das mit dem Internationalen Währungsfonds ausgehandelte Anti-Inflationsprogramm und die Verhandlungen mit Brüssel. Um die EU-Beitrittsperspektive voranzutreiben, wären dringend Reformen auf dem Justizsektor und im Umgang mit der kurdischen Minderheit notwendig. Beides setzt aber eine stabile Regierung voraus. JÜRGEN GOTTSCHLICH |