Süddeutsche Zeitung, 7.4.2000 Dem Staudamm-König das Wasser abgegraben Das türkische Parlament beendet nach 40 Jahren die Ära von Präsident Demirel - die Presse verabschiedet ihn mit Häme Als Yildirim Akbulut das Ergebnis der Abstimmung verlas, senkte sich bleiernes Schweigen über die Versammlung. Die Abgeordneten starrten den Parlamentspräsidenten an wie Kinder, denen soeben die Tragweite ihres bösen Streiches dämmert. In der Tat: Die Herren - und wenigen Damen - der türkischen Volksversammlung hatten Grund, vor ihrer eigenen Courage zu erschrecken. Sie hatten soeben Staatspräsident Süleyman Demirel aufs Altenteil geschickt und damit eine Ära beendet, welche die Nachkriegsgeschichte 40 Jahre lang geprägt hatte. Doch derweil die Abgeordneten schweigend auseinander gingen, machten Bevölkerung und Presse am nächsten Tag keinen Hehl aus ihrer Erleichterung darüber, dass die Laufbahn des 76 Jahre alten Politikers, der siebenmal Regierungschef und sieben Jahre Präsident war, endlich beendet ist. "Die Hypothek, die unser ganzes Leben belastete, ist endlich aufgehoben", schrieb der Kolumnist Cengiz Candar von der Tageszeitung Sabah. Das Blatt goss zusätzlich Spott über Demirel aus: "Auf Wiedersehen, König der Staudämme", titelte das Blatt in Anspielung auf die Faszination, welche zeit seines Lebens Dammprojekte auf den gelernten Wasserbauingenieur Demirel ausübten. Radikal verfasste seine Schlagzeile in Englisch: "Game over", und das Islamistenblatt Akit verabschiedete den Staatschef mit einem verbalen Fußtritt: "Oh Mann, endlich ist er weg." Demirel selbst, der am Vormittag mit Bundespräsident Johannes Rau seinen vermutlich letzten Staatsgast begrüßte, äußerte sich süßsauer: "Was gestern im Parlament geschah, war ein ganz normaler demokratischer Akt." Die Folgen dieses Akts indes waren dramatisch: Zum zweiten Mal in einer Woche hatten die Abgeordneten, unter ihnen Angehörige der Regierungskoalition, einen Vorschlag von Premier Bülent Ecevit abgelehnt, die Verfassung dahingehend zu ändern, dass Demirel eine zweite Amtszeit erhalten sollte. Ecevit zur Harmonie entschlossen Ecevit, mit 75 nur ein Jahr jünger als der Staatschef, hatte zunächst sein politisches Schicksal mit der Abstimmung verknüpft. Flugs gelobte er dann jedoch, dass seine Drei-Parteien-Koalition ihre Arbeit "entschlossen und harmonisch" fortsetzen wolle, um wirtschaftliche und politische Stabilität zu garantieren. Bürger und Börse sahen dies genauso: Anders als zuvor erwartet reagierte die Istanbuler Börse mit Kurssteigerungen, und auch die Bevölkerung wollte offenbar nur den ungeliebten Demirel loswerden, aber nicht die Regierung, die bisher ein für türkische Verhältnisse bemerkenswertes Maß an Stabilität garantiert hat. Die nächste Bewährungsprobe steht der Regierung nächste Woche bevor. Sie muss einen neuen Kandidaten für das Amt des Staatschefs finden. Erste Kommentare deuten jedoch darauf hin, dass dieser Prozess leichter ablaufen wird als bisher erwartet. Häufig wird der Name von Verteidigungsminister Sabahattin Cakmakoglu genannt. In der Tat spricht vieles für ihn: Er ist Mitglied der nationalistischen MHP, dem zweitstärksten Koalitionspartner. Diese Partei hat sich darüber beklagt, keine führende Position im Staat zu bekleiden. Zudem hat der Minister das Vertrauen der Militärs, ohne das in der Türkei keine bedeutende Frage entschieden wird. Und als Angehöriger des islamischen MHP-Flügels könnte er gar mit Stimmen der islamistischen Opposition rechnen. Wolfgang Koydl |