Frankfurter Rundschau, 7.4.2000 Berichte aus der "Hölle in den Zellen" Zustände im Jugendstrafvollzug von Adelsheim angeprangert / Leitung: Einzelfälle Von Peter Henkel (Stuttgart) Ein Prozess vor dem Landgericht in Mosbach hat den Blick der Öffentlichkeit auf Zustände im Jugendstrafvollzug gelenkt. Besonders schlimm geht es offenbar in Adelsheim im nördlichen Baden-Württemberg zu, wo derzeit 450 Häftlinge aus fast 30 Nationen Haftstrafen von durchschnittlich elf Monaten absitzen. Von einer "Hölle in den Zellen" sprach das Opfer der beiden Angeklagten, zweier Kosovo-Albaner, die zu drei Jahren beziehungsweise 21 Monaten Haft verurteilt wurden. Beinahe täglich war der 25-jährige Stuttgarter von seinen beiden Zellengenossen verprügelt worden und musste für sie "Dienstleistungen" verrichten, die der Staatsanwalt als "moderne Sklavenhaltung" bezeichnete. Einmal erlebte er eine "Scheinhinrichtung", bei der er mit einem Elektrokabel über der Kloschüssel aufgehängt wurde. Zur Sprache kamen "Gewaltpartys" auch in anderen Anstaltsbereichen, bei denen die Opfer "als Aschenbecher missbraucht und in die Kloschüssel getaucht" wurden. Immer wieder kommt es offenbar zwischen den männlichen Gefangenen zu brutalen Vergewaltigungen, die in dieser Szene als "Machtdemonstrationen" zur Erniedrigung des Opfers dienen. "Rituelle Entwürdigung und Unterdrückung ist angesichts der Gegebenheiten nicht zu verhindern", sagt Anstaltschef Joachim Walter, der gleichwohl nur "Einzelfälle" von Übergriffen und Misshandlungen einräumen will. Allerdings berichtet die zuständige Mosbacher Staatsanwaltschaft von monatlich zwei bis drei Strafanzeigen von Insassen aus Adelsheim, meistens wegen Körperverletzung, und das, obwohl Versuche, Hilferufe an Dritte zu richten, für den Betroffenen oft noch ärgere Repressalien nach sich ziehen. Es fehlt an Platz und an Personal. Vor 26 Jahren war Adelsheim, damals gefeiert als Modellanstalt, für 380 Häftlinge gebaut worden. Fast jede Einzelzelle wird inzwischen von zwei Insassen "bewohnt". Hinzu kommen die Sprachprobleme zwischen Vollzugspersonal und Insassen sowie die starke Gruppenbildung. Insbesondere Türken, Russlanddeutsche und Kosovo-Albaner, letztere nicht selten unter den Traumata des Kriegs von 1999 leidend, bilden Blöcke, die zur Terrorisierung anderer neigen. Das Alter der Gefangenen, ihr Hang zur Brutalität und ihre Anfälligkeit für psychische Störungen nehmen zu. Überdurchschnittlich hoch sind deshalb auch die Fehlzeiten von oft überbelasteten Vollzugsbeamten. Der Alltagsbetrieb läuft, wie Anstaltsleiter Walter dieser Tage feststellen musste, "nur noch mit äußerster Mühe". Baden-württembergische Haftanstalten verzeichnen schon seit langem Überbelegung. Erst in einigen Jahren werden sich Maßnahmen, wie einige geplante Neubauten, auswirken. Bundesweit Schlusslicht ist das relativ reiche Bundesland beim Personalvergleich: Auf 100 Gefangene kommen im Durchschnitt 49 Bedienstete, im Südwesten nur 41. Der FDP-Politiker Ulrich Goll, Justizminister in Stuttgart, pflegt bei der Frage nach höherem finanziellen Aufwand für den Strafvollzug darauf zu verweisen, wie unpopulär solche Forderungen bei der Bevölkerung sind. Entsprechend gering sei das Engagement von Parteien und Politikern. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Vollzugsbediensteten im Lande hat wegen der Situation in den Knästen an Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) geschrieben. Seit sechs Wochen wartet er auf eine Antwort. |