Frankfurter Rundschau, 10.4.2000 Für eine sachliche Debatte sitzen die Wunden der Opposition zu tief Heftige Proteste oppositioneller Exil-Iraner begleiten eine Konferenz über mögliche Reformperspektiven Teherans Von Edgar Auth (Berlin) Eine Konferenz der Grünen-nahen Heinrich Böll-Stiftung in Berlin über "Iran nach den Parlamentswahlen" und die Aussichten der Reformer musste am Wochenende wegen Tumulten und heftiger Proteste oppositioneller Exil-Gruppen mehrfach unterbrochen werden. Die Wunden sind tief. Viel zu tief, als dass nach mehr als 20 Jahren islamischer Republik mit Massenhinrichtungen, Folter, Frauenunterdrückung und Flucht eine sachliche Debatte über Perspektiven nach dem Sieg der Reformer in Iran bei den jüngsten Wahlen möglich wäre. "Uns war nicht von Anfang an bewusst, wie viel Emotion und politische Leidenschaft" da geweckt würde, räumte Ralf Fücks vom Vorstand der Böll-Stiftung ein. Alle aus Iran Eingeladenen seien erwiesenermaßen Gegner von Terror und Befürworter der Zivilgesellschaft. Die Konferenz biete erstmals die Chance, über Reformperspektiven im Ausland frei zu diskutieren. Diese dürfe nicht zerstört werden. Doch der Schlachtruf in den Sprechchören der Gegner lautete: "Tod der islamischen Republik". Will sagen: Die Herrschaft der Mullah lasse sich nicht reformieren. Die Böll-Stiftung verfolge die Absicht, im Sinne Berlins "die deutsch-iranischen Beziehungen wiederzubeleben". Deshalb sei kein Vertreter der Exil-Opposition auf das Podium geladen worden. Befürchtungen, die der in Deutschland lebende Schriftsteller Faradsch Sarkuhi zuvor in einem Brief geteilt hatte: "Der staatliche und politische Anstrich dieser Konferenz" und "die offizielle Unterstützung dieses oder jenes Flügels der iranischen Regierung" könne von den dortigen Fundamentalisten "zu propagandistischen Zwecken" gegen Reformer missbraucht werden. Fücks hielt dagegen, die Stiftung habe Exil-Gruppen wiederholt ein Forum geboten. Es gelte zudem, Redner zu schützen, denen in Iran Gefahr drohe, wenn sie im Ausland mit bestimmten Oppositionsgruppen aufträten. Die Demonstranten hätten nur warten müssen, denn einige Referenten teilten ihre Positionen. Das Spektrum reichte vom wegen seiner Tätigkeiten für die Khomeiny-Regierung am meisten angefeindeten Journalisten Akbar Ganji bis zum derzeit mit Lehrverbot belegten Soziologen Tschangiz Pahlavan. Ganji ist erklärter Reformist. Er habe das "blutige Gesicht des iranischen Geheimdienstes" enthüllt, hieß es. Ganji trat für Veränderungen durch Wahlen, für Meinungs-, Rede- und Kulturfreiheit ein, bekannte aber auch: "Ich meine, dieses System ist reformfähig." Auch Hodschatoleslam Yousevi Eshkevari tönte ein Sprechchor entgegen: "Geh, Mullah, geh". Dabei trat der Geistliche eindeutig für die Trennung von Religion und Staat ein: "Die Regierung gehört nicht zur Religion (. . .) Sie ist eine menschliche und irdische Angelegenheit." Damit verwarf er das in Iran gültige Prinzip der unbedingten geistlichen Führerschaft. Eshkevari tadelte "Konzeptionslosigkeit" der Reformer und deren "Differenzen, die sich vertiefen könnten". Die Teheraner Frauenrechtlerin Mehrangis Kar berichtete: "Die Forderungen der Menschen gehen weiter, als die Reformbewegung will." Sie forderte Gesetze, die die Freiheit der Presse, der Frauen und anderer Religionen gewährleisten. Auf Vorwürfe von Exilanten wegen ihres Kopftuchs erinnerte sie den Tränen nahe an das Gesetz, das Frauen dazu zwinge. Pahlawan zählte sich zur nicht-religiösen Opposition. Bislang seien Bürgerrechte in Iran "leere Parolen". Den Reformisten warf er vor, die Ideen der säkularen Opposition zu "stehlen". Er setzte dagegen auf eine spontane, zivile Bewegung. |