Die Welt 11.4.2000 "Den politischen Extremisten fehlen die Köpfe für Attentate" Peter Frisch, Ex-Präsident des Verfassungsschutzes, warnt aber vor Gewalttaten linker und rechter Fanatiker - Amt auch gegen Kriminelle einsetzen Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Peter Frisch, wurde gestern von Bundesinnenminister Otto Schily in den Ruhestand verabschiedet. Frisch stand der Kölner Behörde seit 1996 vor, zuvor war er neun Jahre lang ihr Vizepräsident. Mit Frisch sprach Rolf Tophoven. DIE WELT: Im Juli letzten Jahres gab es in Duisburg einen Überfall auf einen Geldtransporter. Dabei wurden mehr als eine Million Mark erbeutet. Einer der Täter war der mutmaßliche RAF-Terrorist Ernst Volker Staub. Muss nach dem erklärten Ende des Linksterrorismus durch die Rote-Armee-Fraktion mit einer neuen terroristischen Vereinigung gerechnet werden? Peter Frisch: Die Gefahr einer neuen terroristischen Vereinigung von links ist noch nicht restlos gebannt. Es gibt aber keine Erkenntnisse, dass dieser Überfall einen terroristischen Hintergrund hatte. Möglicherweise diente er nur der Sicherung des Lebensunterhalts mit kriminellen Mitteln. Die Frage lässt sich derzeit noch nicht abschließend beantworten. DIE WELT: Droht durch den Extremismus/Terrorismus von links derzeit noch Gefahr? Frisch: Es gibt derzeit keine linksextremistisch-terroristische Struktur in der Bundesrepublik, die wie die RAF in der Lage wäre, schwerste Anschläge bis hin zu Mordtaten zu planen und durchzuführen. Linksextremistische Gewalttäter, insbesondere die militanten Autonomen, bedrohen aber nach wie vor die innere Sicherheit. Die Gewalt militanter Autonomer richtet sich gegen Sachen, zum Beispiel teure Kraftfahrzeuge - so genannte Nobelkarossen -, aber auch gegen Personen, zum Beispiel als "Bullen" diffamierte Polizisten. DIE WELT: Muss man mit Anschlägen gegen die Expo 2000 in Hannover rechnen? Frisch: Linksextremistische Expo-Gegner haben sich zum Ziel gesetzt, die Weltausstellung zu verhindern. Ihre Aktionsplanung hat sich inzwischen konkretisiert. So werben sie zum Beispiel verstärkt für Störaktionen gegen die Eröffnung am 1. Juni in Hannover. Wir haben aber nicht den Eindruck, dass ihre Manpower zu mehr als zu Nadelstichen in der Lage ist. DIE WELT: Wie fällt ein Vergleich der "Vätergeneration" des deutschen Linksextremismus/Terrorismus mit den heutigen Linksextremisten aus? Frisch: Die Täter der RAF waren überwiegend sehr intelligent. Das waren Menschen, die von einem bedenkenlosen Fanatismus erfüllt waren. Bei ihnen spielte die Ideologie eine sehr große Rolle. Lenin, Marx, Engels und andere wurden sehr sorgfältig gelesen. Das gibt es in dieser Form bei Linksextremisten heute deutlich weniger. Bei ihnen steht mehr die reine Aktion im Vordergrund. Ihre These lautet "Hau weg den Bullenscheiß", womit mit "Bullenscheiß" alles gemeint ist, was in der Mitte der SPD anfängt und nach rechts geht. Die Aktionen heutiger Linksextremisten sind im Vergleich zu früher gröber, es fehlt an der langfristigen, ausgefeilten und strategischen Planung der Anschläge. DIE WELT: Berichte Ihrer Behörde besagen, die Neonazis haben wieder mehr Zulauf. Das BfV spricht von 9000 gewaltbereiten Anhängern der Szene. Wie werden solche Zahlen eigentlich ermittelt? Frisch: Die rechtsextremistische Gewaltszene besteht aus Skinheads und anderen Rechtsextremisten - nicht nur Neonazis. Unsere Zahlenangaben basieren auf Erkenntnissen der Landesbehörden für Verfassungsschutz, denen wiederum Polizeierkenntnisse über an rechtsextremistischen Gewalttaten beteiligte Personen zu Grunde liegen. Darüber hinaus erhalten wir Angaben von V-Leuten, die aus der Szene berichten, auch über die Stärke einzelner Gruppen. Weitere Indikatoren sind etwa die Skinheadkonzerte und die Zahl der dort festgestellten Besucher. DIE WELT: Wie sieht heute ein rechtsextremistisches Täterprofil aus? Frisch: Die Gewalttäter sind fast ausschließlich männlich, sie sind durchweg jung, zwei Drittel sind unter 21 Jahren. Sie sind überwiegend geistig nicht sehr hoch stehend, neigen zur Brutalität und kommen zum Teil aus gestörten Familien. Die Arbeitslosigkeit spielt keine so große Rolle, wie gemeinhin angenommen, nur 20 Prozent der Gewalttäter sind arbeitslos. DIE WELT: Die Masse rechtsextremistischer Gewalttäter ist nach Ihren Erkenntnisse im Osten angesiedelt. Welche Gründe gibt es dafür? Frisch: Das ist eine Auswirkung der Geschichte und der Wiedervereinigung. Es ist ihnen nicht vermittelt worden, dass auch Minderheiten zu schützen sind. Viele der jungen Leute haben auch den Eindruck, jetzt auf der Seite der Verlierer zu stehen. Die Perspektivlosigkeit spielt eine große Rolle. Nach Feierabend haben sie keine sinnvolle Beschäftigung. Es fehlen weitgehend Jugendbegegnungsstätten. Unter Einwirkung von Alkohol entwickeln sich oft gruppendynamische Prozesse: Frust, Hass und Wut entladen sich gegen jene, die sich nicht wehren können. Wenn dann ein Farbiger vorbeikommt, greifen sie ihn spontan an. DIE WELT: Werden rechtsextremistische Aktionen zentral gesteuert? Frisch: Nein. Aber die oft widerliche Hetze gegen Juden und Ausländer auf den Internet-Websites der Szene, in den Skinheadmagazinen und vor allem die aufpeitschende Skinheadmusik mit ihren ekelhaften Texten haben eine stimulierende Wirkung. DIE WELT: Muss der Aufbau einer "Braunen-Armee-Fraktion" befürchtet werden? Frisch: Die Diskussionen in der rechtsextremistischen Szene, ob man nicht auch terroristische Mittel anwenden sollte, nehmen zu. Wir sehen auch, dass gerade Rechtsextremisten oft Waffennarren sind. Es fehlt allerdings an der - für einen Kampf aus dem Untergrund erforderlichen - Unterstützung in der Szene, wie sie im Linksterrorismus gegeben war. Hinzu kommt die Angst, dass die Szene so mit V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt ist, dass der Aufbau schon im Ansatz verhindert wird. Auch wenn die Rechtsextremisten Bomben basteln können, so fehlt es ihnen doch an Köpfen, an strategischen Planern, an Führerfiguren, die ihnen sagen, was wann zu tun ist. Die Bewaffnung der Szene erhöht allerdings die Gefahr, dass einzelne Rechtsextremisten oder Kleingruppen Gewalttaten begehen können. DIE WELT: Welche Gefahren gehen derzeit von ausländischen extremistischen Gruppen auf dem Boden der Bundesrepublik aus? Frisch: Nach wie vor verfügt die PKK (Kurdische Arbeiterpartei) über ein sehr großes Gewaltpotenzial. Zwar hat Öcalan nach seiner Inhaftierung zur Abkehr von Gewalt aufgerufen und eine politische Lösung der Kurdenproblematik gefordert, aber führende PKK-Funktionäre weisen darauf hin, dass die Anhänger "mit allen Mitteln kämpfen, die ihnen zur Verfügung stehen", wenn Öcalan hingerichtet werden sollte. Man muss sehen, dass die Türkei den Schlüssel zur Gewalt in der Hand hält. Es wäre sehr hilfreich, wenn sie den Kurswandel der PKK anerkennt und auf gewisse Minimalforderungen eingeht, vor allem aber die Hinrichtung Öcalans unterlässt. DIE WELT: Die EU-Staaten haben kürzlich offiziell die Existenz eines auch auf Europa gerichteten US-amerikanischen Spionagesystems "Echelon" bestätigt. Können Sie Ihren amerikanischen Partnern eigentlich noch trauen? Frisch: Ich möchte auf Ihre Frage mal einen alten Kollegen zitieren, der einmal sagte: "Der Einzige, von dem ich mit Sicherheit weiß, ob er ein Spionageagent ist oder nicht, das bin ich." Wenn man in diesem Geschäft ist, dann hat man sicherlich Freunde, denen man vertrauen m u s s. Aber, dass man nun Spionage seitens eines befreundeten Dienstes nach jeder Hinsicht absolut ausschließt - also dazu bin ich selber zu lange im Geschäft. DIE WELT: Welchen Herausforderungen muss sich der Verfassungsschutz künftig stellen? Frisch: Da ist zunächst einmal das Problem der personellen Stärke. Derzeit beschäftigt das Amt 2130 Personen. Nach Vorgabe und interner Planung müssen noch weitere Stellen bis zum Jahre 2004 eingespart beziehungsweise abgebaut werden. Bei einer Stellenzahl von 2000 Beschäftigten ist aber die absolute Grenze erreicht. Personal würde auch gebraucht, wenn das BfV künftig als neue Aufgabe auch die Vorfeldbeobachtung der organisierten Kriminalität übernehmen sollte. Wir haben Methoden, die sehr wirkungsvoll den Kampf der Polizei gegen das organisierte Verbrechen unterstützen könnten. Das wäre im Übrigen keine Konkurrenz zur Polizei und schon gar nicht eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Wir haben noch viel zu tun. |