Saarbrücker Zeitung 10.4.2000 Rau warnt Türkei vor Illusionen zu EU-Beitritt Zeitung: Verstimmung zwischen Rau und Demirel beim Thema Menschenrechte - Staatsbesuch ging am Wochenende zu Ende Bundespräsident Johannes Rau hat am Wochenende zum Abschluss seines Staatsbesuches die Türkei in Istanbul davor gewarnt, sich auf ihrem Weg in die Europäische Union Illusionen hinzugeben. Istanbul (afp). Seit der offiziellen Einstufung Ankaras als Beitrittsbewerber beim EU-Gipfel von Helsinki im Dezember gebe es in der Türkei zwar "frischen Wind und eine Aufbruchstimmung", sagte Rau vor Mitgliedern der Deutsch-Türkischen Handelskammer in Istanbul. "Die Türkei darf nach Helsinki aber jetzt nicht denken, es sei nur noch eine Frage der Zeit bis zur Vollmitgliedschaft, und diese komme automatisch." Bei den Gesprächen Raus mit dem türkischen Präsidenten Süleyman Demirel gab es nach einem Bericht der türkischen Zeitung "Cumhuriyet" beim Thema Menschenrechte deutliche Irritationen. Als EU-Kandidat stehe das Land nun vor der Aufgabe, die wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen für einen Beitritt zu schaffen, sagte Rau. Er bescheinigte Ankara den Willen, die Annäherung an die EU voranzutreiben. "An der Unterstützung durch Deutschland und die anderen europäischen Staaten hierbei soll es nicht fehlen", fügte er laut Redetext hinzu. Rau wandte sich auch erneut dagegen, die Türkei aus der Europäischen Union ausgrenzen zu wollen, weil sie ein moslemisches Land ist. In Istanbul kam der Bundespräsident mit dem Patriarchen Bartholomäus zusammen, dem geistlichen Oberhaupt der orthodoxen Christen. Mit dem Besuch wollte er die Bedeutung des Zusammenlebens verschiedener Kulturen herausheben. Das Verhältnis zwischen der Türkei und Europa war eines der Hauptthemen des dreitägigen Staatsbesuches in Ankara und Istanbul. Verstimmung gab es laut der Zeitung "Cumhuriyet" beim Thema Menschenrechte. Rau habe Demirel gesagt, er habe auch den kurz vor seiner Ankunft in der Türkei inhaftierten prominenten Menschenrechtler Akin Birdal treffen wollen. Zudem habe der Bundespräsident nach dem Grund für Birdals Haftstrafe gefragt. Demirel habe zu Raus Frage geschwiegen, was bei den deutschen Gästen Missmut ausgelöst habe. Ministerpräsident Bülent Ecevit habe dagegen von sich aus den Fall Birdal angesprochen und die Inhaftierung des Menschenrechtlers bedauert. Aus der deutschen Delegation hieß es zu dem Zeitungsbericht, es sei zwar richtig, dass Rau den Fall Birdal angesprochen habe, von einem Streit mit Demirel könne aber keine Rede sein. Nach einem Treffen mit türkischen Menschenrechtlern am Freitag hatte Rau gesagt, er bedauere, dass Birdal nicht kommen konnte. Birdal, der ehemalige Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins IHD, war in der vergangenen Woche trotz angeschlagener Gesundheit ins Gefängnis gekommen, um eine Reststrafe wegen Volksverhetzung abzusitzen. Er war zu der Haftstrafe verurteilt worden, weil er das Kurdenproblem angesprochen hatte. Bereits zuvor hatte der Bundespräsident deutlich werden lassen, dass er angesichts der Menschenrechtslage derzeit kaum Chancen für deutsche Panzerlieferungen an die Türkei sehe. |