Berliner Zeitung 12. 04. 2000 EU und Türkei beginnen Vorarbeiten für Beitritt Ausschüsse sollen Erfüllung der Vorgaben für eine Mitgliedschaft in der Union überprüfen LUXEMBURG, 11. April. Die Türkei ist ihrem Wunsch nach einem Beitritt in die Europäische Union am Dienstag einen wichtigen Schritt näher gekommen. In Luxemburg fand zum ersten Mal seit drei Jahren wieder ein hochrangiges Treffen zwischen der EU und der Türkei statt. Die EU-Außenminister oder ihre Vertreter trafen mit dem türkischen Außenminister Ismail Cem zu einem so genannten Assoziationsrat zusammen. Dabei wurde die Bildung von acht Unterausschüssen beschlossen, die nun "die türkische Wirklichkeit durchleuchten" sollen, wie Portugals Außenminister Jaime Gama sagte. Konkrete Beitrittsverhandlungen finden jedoch nicht statt. 180 Millionen für Anpassung Die Ausschüsse, die schon Mitte dieses Jahres ihre Arbeit aufnehmen sollen, werden sich nach Angaben des für die Erweiterung zuständigen deutschen EU-Kommissars Günter Verheugen mit den Bereichen Landwirtschaft, Umwelt sowie mit Wirtschaft und Finanzfragen befassen. Damit soll geprüft werden, inwieweit die türkische Gesellschaft bereits EU-Vorgaben erfüllt oder was zu deren Erfüllung noch notwendig ist. Verheugen sprach von einem langwierigen Prozess. Auf ein Beitrittsdatum wollte er sich nicht festlegen. Die Türkei ist mit der EU seit 1963 in dem Assoziationsrat und wirtschaftlich über eine Zollunion verbunden. Sie hat im Jahre 1987 einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt, gehört aber offiziell nicht zu den anderen zwölf Ländern, mit denen die EU bereits konkret verhandelt. In Luxemburg wurde betont, dass Ankara alle wirtschaftlichen und politischen Vorbedingungen, also die Grundwerte der EU, erfüllen müsse, bevor an einen Beitritt gedacht werden könne. Die EU unterstützt den Anpassungsprozess Ankaras mit jährlich 180 Millionen Euro (etwa 355 Millionen Mark). Cem sprach vor Journalisten von einem Wendepunkt, der mit der Vereinbarung über einen EU-Kandidatenstatus für die Türkei auf dem EU-Gipfel in Helsinki im vergangenen Dezember begonnen habe. Die Gespräche zwischen der EU und der Türkei würden sich jetzt im Wesentlichen auf den Beitritt seines Landes konzentrieren. Verheugen sprach von einer "Anfangsphase". Die Türkei werde nun auf den Beitritt vorbereitet. Athen sieht sich bestätigt Der türkische Außenminister verwies auf die Fortschritte, die es in seinem Land etwa in Fragen der Menschenrechte gegeben habe. Auch sei die Todesstrafe in der Türkei seit 16 Jahren nicht mehr vollstreckt worden. Griechenlands Außenminister George Papandreou sagte, die jüngsten Wahlen mit der Bestätigung der griechischen Regierung hätten bewiesen, dass die bisherige Außenpolitik seines Landes und damit auch die Annäherung an die Türkei richtig gewesen sei. Zugleich räumte Papandreou ein, dass zwischen beiden Staaten noch viele Probleme, wie etwa die Zypernfrage, gelöst werden müssten. (dpa) IMPULSE Auf dem Weg zur EU Die Anerkennung als EU-Beitrittskandidat hatte in der Türkei einen Wirtschaftsboom zur Folge. Prognosen sagen für 2 000 eine Steigerung des Bruttosozialprodukts von fünf bis sechs Prozent voraus . Widersprüchlich ist jedoch die Kurdenpolitik: Der Ausnahmezustand über die fünf kurdischen Provinzen soll aufgehoben werden; die Offensive gegen die Kurden-Guerilla wird fortgesetzt. |