taz, 11.4.2000
Sterne über Deutschland
Wenn sich in Istanbul Zeitungsverlage bekriegen, bekommen das die
türkischen Journalisten in Deutschland am eigenen Leib zu spüren.
Und plötzlich gibt es eine neue Zeitung gleich zweimal
von ARNO FRANK
Seit Monaten tobt in der türkischen Medienlandschaft ein erbitterter
Kampf um Auflage und Werbekunden. Mit harten Bandagen und bizarren Mitteln
ausgetragen, schlug der Zwist der Großverleger hohe Wellen, schwappte
bis nach Deutschland - und hat sich nun vorerst vor dem Offenbacher
Arbeitsgericht gebrochen: Das gab im März drei Hürriyet-Redakteuren
Recht, die gegen ihre Entlassung durch die deutsche Tochterfirma Hürriyet
International geklagt hatten.
Bis zum 31. Dezember 1999 hieß der Besitzer der in Frankfurt/Main
erscheinenden Europa-Ausgabe von Hürriyet noch Erol Simavi, Sohn
des Zeitungsgründers Sedat Simavi. Das Mutterhaus in Istanbul gehört
dagegen schon seit 1997 der Dogan Media Group (DMG), die im Januar auch
die Geschäfte der deutschen Depandance übernahm - und kräftig
aufräumte: Der halben Redaktion wurde gekündigt, wer keinen
Knebelvertrag mit dem neuen Arbeitgeber abschließen wollte, dem
sollte das Ausscheiden mit einer Abfindung von ganzen 3.200 Mark pro
Jahr Betriebszugehörigkeit versüßt werden - zu wenig
für die Journalisten, die bisher nach deutschem Tarif bezahlt wurden:
"Darum waren wir der DMG wohl zu teuer", sagen die Kläger
und pochten vor Gericht darauf, dass trotz Besitzerwechsels die Verlagsarbeit
regulär weitergeführt werde - und die Kündigungen daher
nicht rechtskräftig seien.
Politische Kündigungen
Die DMG lässt sich derzeit allerhand einfallen, um den Eindruck
zu erwecken, dass ihre bisherigen Redakteure schlicht überflüssig
sind: Auch die bisher in Frankfurt produzierten Europa-Seiten von Hürriyet
würden künftig per Satellit aus der Türkei überspielt,
behauptete die DMG, Redakteure vor Ort seien daher unnötig.
"Eine glatte Lüge", so einer der Redakteure. Er hat neben
finanziellen auch politische Gründe für die Kündigungen
ausgemacht: "Die neuen Macher wollen keine richtigen Journalisten
mehr, sondern einfach nur billige Redaktionslaufburschen".
Die Journalisten sehen sich mit gutem Grund als Bauernopfer in einem
undurchsichtigen Spiel um die Medienmacht in der Türkei. Dort kaufen
die insgesamt 65 Millionen Einwohner zwar gerade mal 3,5 Millionen Zeitungen
täglich. (Zum Vergleich: Die verkaufte Auflage der deutschen Tageszeitungen
beträgt bei 81 Millionen Einwohnern rund 30 Millionen Exemplare).
Doch um diese wenigen Leser wird von den Großverlegern mit rabiaten
Mitteln gebuhlt. Einer von ihnen ist Aydin Dogan, der es vom Großhändler
für Autoersatzteile und Kühlschränke zu einer Art Leo
Kirch der Türkei gebracht hat. Er kontrolliert mit seinem Medienkonzern
inzwischen mehr als 70 Prozent der türkischen Presse, inklusive
deren Flagschiff Hürriyet. Daneben betreibt die Dogan Group neben
dem zweitgrößten TV-Sender Kanal D auch den türkischen
Ableger des Time-Warner-Nachrichtenkanals CNN, CNN-Türk.
Der allmächtigen Dogan-Gruppe aber erwuchs ebenbürtige Konkurrenz:
1999 gründete die Familie Uzan, bisher mit Instar, dem ältesten
privaten Fernsehsender der Türkei, überwiegend im TV-Geschäft
unterwegs, die Boulevardzeitung Star. Das Blatt ist in Qualität
und Aufmachung in etwa vergleichbar mit der englischen Sun. Uzan warb
nicht nur Journalisten bei Bilgin und Dogan ab, sondern unterbot die
Mitbewerber mit sensationellen Dumpingpreisen: Umgerechnet schlappe
35 Pfennig kostet Uzans Star, nur halb so viel wie Dogans Hürriyet.
Der bisherige Platzhirsch steuerte gegen, indem er die Auslieferung
des lästigen Neulings über die gemeinsame Vertriebsfirma kurzerhand
sabotierte: Stapelweise sollen Star-Exemplare vom Lastwagen gekippt
worden sein, anstatt den Einzelhändlern in Ankara oder Istanbul
zugestellt zu werden - Uzan sah sich gezwungen, für viel Geld eigene
Vertriebswege zu erschließen.
"Star" auch in Deutschland
Und sann auf Rache: Am 24. März kaufte die Uzan-Gruppe die Hürriyet
International GmbH in Neu-Isenburg bei Frankfurt/Main, Druck- und Verlagshaus
der Europaausgaben aller Dogan-Blätter wie Hürriyet, Milliyet,
Fanatic und der Wochenzeitung Haftasonu und kündigte an, Star künftig
auch in Deutschland erscheinen zu lassen.
Sofort nach der Übernahme wurde die Druckqualität der Dogan-Blätter
so schlecht, dass verbliebene Redakteure von "Sabotage" sprechen,
und die DMG verstärkt auf Druckereien in Belgien und den Vertrieb
von Axel Springer ausweichen musste.
Interessant für Werbung
Der Grund liegt auf der Hand: Uzan will die DMG-Objekte schwächen,
um den Weg für sein eigenes Blatt zu ebnen. Denn immerhin erreichen
die in Neu-Isenburg gedruckten Blätter täglich allein in Deutschland
eine halbe Million Landsleute. Diese Zielgruppe wächst und wird
Dank eines steigenden Wohlstandes allmählich auch für die
Werbungswirtschaft immer interessanter. Star sollte eigentlich am 4.
April erstmals ausgeliefert werden. Doch daraus wurde zunächst
nichts, weil plötzlich die Dogan-Gruppe Titelschutz für den
Namen Star in Deutschland beantragt hatte.
Doch Uzan nahm die Schlappe gelassen: Seit Donnerstag ist sein Star
trotzdem am Kiosk - mit einem Kampfpreis von 70 Pfennig deutlich billiger
als etwa Hürriyet, die 1,50 Mark kostet.Und wieder reagierte die
DMG in bewährter Manier und warf - schließlich gehört
ihr ja der Name Star - gestern erstmals ihre "Abwehrzeitung"
auf den deutschen Markt: Das türkische Dogan-Blatt Gözcü
heißt hierzulande jetzt einfach auch Star und ist mit 50 "Fenik"
noch billiger als das gleichnamige Konkurrenzprodukt aus dem Hause Uzan.
Über den Titelstreit haben jetzt die Gerichte zu befinden, klar
verloren haben jetzt schon jegliche journalistischen Ansprüche
an die beiden Blätter: "Alles, was diese Leute interessiert",
sagt einer der Hürriyet-Redakteure, "ist ganz allein ihr Profit."
Nur beim türkischen Kiosk um die Ecke herrscht Freude über
die neue, abenteuerliche Vielfalt. Hier ist alles ganz einfach: "Hürriyet
ist teuer, Star ist billig. Und Star ist noch billiger."
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