junge Welt, 12.04.2000 Grünes Licht für neue Kontakte BRD-Iran? jW sprach mit Kazem Kardavani, Abteilungsleiter im »Iranischen Sprachinstitut« und Vorstandsmitglied des Iranischen Schriftstellerverbandes F: Mit welchem Ziel sind Sie am Wochenende zur Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung »Iran nach den Parlamentswahlen - Die Reformdynamik der Islamischen Republik« gekommen? Das Spektrum der Teilnehmer reichte von Linken bis zu Reformisten innerhalb der Regierung im Iran. Ich war als linker Intellektueller eingeladen. Für uns bestand in Berlin die Möglichkeit, in diesem Kreis über unsere Probleme zu diskutieren und Kontakte zu Intellektuellen im Ausland zu knüpfen beziehungsweise zu vertiefen. Wir versuchten, auf anschauliche Weise ein Bild der derzeitigen Probleme im Iran zu vermitteln. F: Viele im Exil lebende Iraner haben gegen die Veranstaltung protestiert, weil seitens der Veranstalter die Opposition im Ausland ausgegrenzt wurde. Es ist das Recht aller Menschen, ihre Meinung zu äußern. Ich achte ebenso jene, die gegen die Konferenz demonstriert haben. Ich war aber weder Organisator noch wurde ich von den Organisatoren gefragt, wer eingeladen werden sollte und wer nicht. Im Ausland herrschen zwei Tendenzen hinsichtlich der Reformbewegung im Iran vor. Eine Strömung beurteilt das Geschehen ausnahmslos negativ, das heißt, sie steht dem Prozeß hinsichtlich seiner Radikalität sehr skeptisch gegenüber. Das ist jedoch nicht berechtigt. Die andere Strömung hingegen ist begeistert vom Reformprozeß. Das ist natürlich auch ihr Recht, jedoch werden damit die Widersprüche verkannt. Diese Leute sehen die ernsten Probleme nicht, die es innerhalb der Reformbewegung gibt. Die Konferenz sollte uns die Möglichkeit bieten, einen Teil dieser Probleme und die Komplexität der Bewegung zu vermitteln und zu diskutieren. F: War die Konferenz somit nur eine Tribüne, um sich zu äußern? Nein, es gibt für uns zahlreiche solche Tribünen: Iran selbst und die Medien im Ausland in Form von Zeitungen, Fernseh- und Rundfunk. Ich erwartete mehr: Den Beginn eines Dialoges mit deutschen Intellektuellen, demokratischen Kräften im Ausland und nicht zuletzt den iranischen Intellektuellen im Exil. F: Die Heinrich-Böll-Stiftung steht mit Bündnis 90/Die Grünen einer Partei nahe, die Regierungsverantwortung innehat: Sollte die Versammlung nicht auch grünes Licht für den Neubeginn der deutsch-iranischen Beziehungen geben? Deutsch-iranische Beziehungen existieren ohnehin. Es gab und gibt sie auf politischem, kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet. Die Veranstaltung gab mithin kein »grünes Licht«. Die Politik verfügt über die ihr eigenen Mittel, um Gespräche hinter verschlossenen Türen zu führen. F: Wie ist die Situation für die Linken im Iran nach der Mordserie an Intellektuellen? Die Linke im Iran stellt eigentlich eine ernsthafte Kraft dar, die auf die Gesellschaft einwirkt. Sie ist aber kaum organisiert. Das ist ihr verboten. Zudem sind wir mit zwei Problemen konfrontiert: Zum einen ist es das historische, das sich der Linken international stellt. Wir sprechen von Sozialismus, verfügen jedoch gegenwärtig über keinen Sozialismusentwurf. Von Europa bis Lateinamerika habe ich noch kein umfassendes Konzept gesehen. Diese allgemeine Krise der Linken trifft auch uns. Zum anderen leben wir in einer Gesellschaft, in der wir nicht öffentlich auftreten dürfen. So ist der Schriftstellerverband immer noch kein offizieller. F: Gibt es immer noch Morddrohungen und -anschläge gegen Intellektuelle im Iran, oder gehört der Terror der Vergangenheit an? Die iranische Gesellschaft befindet sich im Übergang von einer vormodernen zu einer modernen Gesellschaft. Derzeit erleben wir eine äußerst wichtige und sensible Phase dieser Entwicklung. Wir als demokratische Kräfte müssen fähig sein, in dieser Krise zu leben und zu überleben, sozusagen auf den Wellen im Ozean zu schwimmen. Sowohl der ständige Versuch, etwas zu bewegen und zu verändern, als auch Drohungen gegen uns sind untrennbar mit unserem Leben verbunden. Wir können uns nicht sicher fühlen, Mordanschläge sind immer noch möglich. F: Wie sind Veränderungen im Iran möglich? In den letzten 100 Jahren fanden im Nahen Osten zwei große Revolutionen statt - beide im Iran. Die erste kommunistische Partei der Region wurde ebenfalls im Iran gegründet. Es existierte eine starke Nationalbewegung gegen den Kolonialismus, die heute noch eine große Rolle im Iran spielt. Die machtvolle religiöse Bewegung des Landes ist Vorbild für die gesamte Region. Im Ausland versteht man kaum den inneren Mechanismus, die Vitalität der iranischen Gesellschaft. Diese Lebendigkeit ist tief in der Gesellschaft verwurzelt. Sie bedeutet nicht Zufriedenheit mit den vorherrschenden Verhältnissen, sondern ist heute mit der Sehnsucht und dem Versuch verbunden, die 20 Jahre Islamische Republik zu beseitigen. Wir versuchen, nicht allein eine ablehnende Haltung einzunehmen, sondern eine Entwicklung hin zur Demokratie zu bewirken. Wichtig ist zu erkennen, daß die Reformer innerhalb der Regierung eine heterogene Bewegung sind. Es gibt die radikalen Kräfte, die sich für eine Demokratisierung einsetzen, und jene, die einen Kompromiß mit den Konservativen suchen. Entscheidend ist, welche der beiden Strömungen sich durchsetzen kann. Interview: Majid Roshanzadeh, Maja Zwick |