Neue Zürcher Zeitung 14.4.2000 Deutschland ohne klare Nahostpolitik Eine Konferenz aussenpolitischer Experten in Jerusalem Von Roland Löffler Das Harry S. Truman Research Institute der Hebräischen Universität in Jerusalem und die Konrad-Adenauer-Stiftung haben unlängst in Jerusalem eine Tagung zum Thema «Deutschland im Nahen Osten - Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft» organisiert. Arabische Historiker fehlten. Aus den Diskussionen kristallisierte sich eine These heraus: Eine kohärente deutsche Nahostpolitik hat es in den Nachkriegsjahren nicht gegeben. In Jerusalem hat sich unlängst eine Tagung des Harry S. Truman Research Institute und der Konrad-Adenauer-Stiftung mit der deutschen Nahostpolitik auseinandergesetzt. Eine Reihe von Fachleuten diskutierte über das Thema «Deutschland im Nahen Osten - Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft». Die deutsche Nahostpolitik steckt laut Friedemann Büttner, dem Leiter der Arbeitsstelle «Politik des Vorderen Orients» an der Freien Universität Berlin, trotz guten Beziehungen zu verschiedenen Staaten in der Region in einem grundsätzlichen Dilemma: Die aus historischen Gründen «besonderen Beziehungen» Deutschlands zu Israel haben stets Vorrang gegenüber den Beziehungen zu den arabischen Ländern, die die Bundesrepublik gerade aus ökonomischen Gründen ebenfalls pflegen möchte. Auch die von Willy Brandt und Walter Scheel in Anlehnung an die damalige Ostpolitik entwickelte «Politik der Ausgewogenheit» gegenüber den Ländern des Vorderen Orients sei deshalb an diesem Problem gescheitert, so Büttner. Israel im Mittelpunkt Auch für den Direktor des Deutschen Orient- Instituts in Hamburg, Udo Steinbach, bilden die Beziehungen zu Israel den Schwerpunkt der deutschen Nahostpolitik. Eine eigene Politik gegenüber den arabischen Staaten habe dagegen kein Bonner Kabinett entwickelt und von der neuen Berliner Regierung sei dies ebenfalls nicht zu erwarten, kritisierte Steinbach. An die Stelle der Politik trete die Ökonomie. Die Araber kämen nur in zweierlei Hinsicht vor: als Handelspartner und als Teil des arabisch-israelischen Konflikts. Dagegen nehme die Türkei, wie Steinbach betonte, in Deutschlands selektiver Nahostpolitik eine führende Rolle ein. Zum einen sei die Bundesrepublik aus einer Vielzahl historischer, wirtschaftlicher, aussen- und innenpolitischer Gründe daran interessiert, die Türkei als EU- Kandidaten «fit zu machen». Zum anderen werde das Land als wichtiger Partner für die zukünftige Stabilität auf dem Balkan benötigt. Dennoch werde, so Steinbach, Deutschland auch in absehbarer Zeit keine entscheidende Rolle in der Region spielen, sondern vielmehr darauf hoffen, dass die EU diese Lücke ausfülle. Die Geschichte der Aussenpolitik der Bundesrepublik zeigt jedoch, dass Deutschlands Dilemma im Orient so alt ist wie die Bundesrepublik selber. Für die junge Bonner Republik sollte die 1955 als systematisches Prinzip der Aussenpolitik verkündete Hallstein-Doktrin zum Hindernis für eine klare Nahostpolitik werden. Die Regierung Adenauer hatte sich darauf festgelegt, keine diplomatischen Beziehungen zu einem Land zu unterhalten, dass die DDR diplomatisch anerkennt. Das erste indirekte Opfer dieser Politik wurde der Staat Israel. Um die arabischen Staaten von der Anerkennung der DDR abzuhalten, habe sich die Bundesrepublik bei der Etablierung diplomatischer Kontakte mit Israel zurückgehalten, erklärte Yeshayahu A. Jelinek (Ben-Gurion-Universität, Beerscheba) zu Israels Problemen mit dem geteilten Deutschland. Die arabischen Staaten, die eine Annäherung Westdeutschlands an Israel befürchteten, erkannten schnell, dass die Hallstein-Doktrin die Bundesrepublik erpressbar machte. Deshalb entwickelten sie im Gegenzug die sogenannte Areff-Doktrin: Sollte Bonn Israel anerkennen, würden die arabischen Staaten umgehend das gleiche mit Ostberlin tun. Kampf der Doktrinen Im Mai 1956 teilte das Auswärtige Amt der Regierung Ben Gurion mit, dass es von einer Vertiefung der diplomatischen Beziehungen absehen wolle, sagte der französische Historiker Dominique Trimbur vom Französischen Forschungszentrum in Jerusalem. Während dadurch die bundesdeutsche Nahostpolitik belastet und durch die zähen Wiedergutmachungs-Verhandlungen mit Israel weiter kompliziert wurde, konnte die DDR im Nahen Osten eine eindeutigere, proarabische Politik verfolgen. Die Zeithistorikerin Angelika Timm von der Freien Universität Berlin lieferte dafür folgende Begründung: Die DDR sei nicht bereit gewesen, die historische Verantwortung für das Dritte Reich zu übernehmen, und habe deshalb nicht zwischen Israel und den arabischen Staaten lavieren müssen. Die westdeutsche Annäherung an den jüdischen Staat konnte Ostberlin zudem propagandistisch nutzen. So betonte die DDR ihre «antiimperialistische» Gesinnung, mit der sie sich dem als grossbürgerlicher Nationalismus und Chauvinismus bezeichneten Zionismus entgegenstellte. Ostberlin war daran interessiert, die arabische Nationalbewegung und arabische Staaten wie Ägypten, Syrien oder den Irak politisch und ökonomisch zu unterstützen, schienen diese «progressiven» Nationen doch dank ihrer «antikapitalistischen Orientierung» auf dem Weg zum real existierenden Sozialismus zu sein. Neben diesen ideologischen Gesichtspunkten habe die DDR durch die seit den sechziger Jahren intensivierten Beziehungen mit der arabischen Welt auch aussenpolitische Ziele verfolgt, so Timm. Zum einen ging es um den Import von Erdöl. Zum anderen versuchte die SED-Regierung, die von der Hallstein-Doktrin bewirkte aussenpolitische Isolation durch Kontakte mit den Ländern des Orients und der Dritten Welt zu unterminieren. Chancen für die DDR Den erhofften Durchbruch brachte im Frühjahr 1965 der Staatsbesuch Walter Ulbrichts in Ägypten, bei dem dieser mit dem ägyptischen Präsident Nasser in einem gemeinsamen Communiqué die «aggressiven imperialistischen Pläne Israels» scharf verurteilte. Das brachte der DDR ein hohes Ansehen in der arabischen Welt. Dennoch habe die DDR keine eigenständige Nahostpolitik entwickelt, erklärte Timm. Die DDR-Aussenpolitik sei stets in die proarabische internationale Politik der UdSSR und des Warschaupaktes eingebettet gewesen, die nur kleinere Abweichungen erlaubte. So war die DDR das erste sozialistische Land, das die PLO anerkannte, und unterstützte Arafat stärker als andere Ostblockländer. Die ostdeutsche Israelpolitik endete mit einem, wie Frau Timm betonte, zu Unrecht vergessenen bemerkenswerten Schlusspunkt. Im Zuge der politischen Veränderungen der Wende von 1989 begannen im Januar 1990 in Kopenhagen zwischen Israel und der DDR Verhandlungen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, die jedoch ohne Ergebnis blieben. Dagegen beschloss die erste demokratisch gewählte Volkskammer nur wenige Wochen nach der März-Wahl am 12. April 1990 eine Resolution, in der sich auch die DDR zur deutschen Verantwortung für den Holocaust bekannte, die Juden in aller Welt um Vergebung bat und sich beim israelischen Volk für die Heuchelei und die Feindschaft der offiziellen DDR-Politik gegenüber Israel entschuldigte. Bereits ein Mittelmeerstaat? Nach der Wiedervereinigung 1990 und der Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Aussen- und Sicherheitspolitik hat die deutsche Nahostpolitik nach Ansicht von Volker Perthes (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin) in einer gemeinsamen europäischen Mittelmeerpolitik ihren Platz. Mit dem vom Schengener Abkommen bewirkten Wegfall der innereuropäischen Grenzen sei Deutschland, was seine Aussengrenzen angehe, geopolitisch bereits ein Mittelmeer- Staat geworden, so Perthes' zugespitzte Formulierung. Deshalb wachse das Interesse Deutschlands und der südlichen EU-Staaten an einer gemeinsamen Nahostpolitik. Trotz regionalen politischen Auseinandersetzungen wie dem Kurden-Problem oder dem arabisch-israelischen Konflikt seien es weniger militärische Gefahren als die sogenannten weichen Sicherheitsrisiken, die der EU Sorgen bereiteten: Kriminalität, Terrorismus, Drogenhandel und vor allem unkontrollierte Migration fänden auf Grund der offenen Grenzen schnell den Weg nach Mitteleuropa und Deutschland. Diese Konsequenz von «Schengen», meinte Perthes weiter, lasse Politiker in Berlin und Brüssel befürchten, dass rechtsextreme Parteien das Thema Einwanderung zu einer Renationalisierung des politischen Diskurses missbrauchen könnten. Europa sei deshalb an einer politischen Stabilisierung der südlichen EU-Nachbarn interessiert. Politisch verankert werden soll diese Entwicklung in der 1995 auf der Barcelona-Konferenz ins Leben gerufenen Euro-Mediterranen Partnerschaft (EMP). Der Aufbau gemeinsamer Institutionen, die Zusammenarbeit für eine regionale Sicherheitspolitik sowie die Errichtung einer Freihandelszone bis 2010 sollen zur Stabilisierung der südlichen EU-Nachbarn beitragen. Zu langsam, zu wenig? Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Eberhard von Koerber, kritisierte in seinem Beitrag über die ökonomische Dimension der deutschen Nahostpolitik, dass der Barcelona-Prozess zu langsam, zu schwerfällig, zu bürokratisch sei. 2010 als Ziel des Barcelona-Prozesses sei im Internet-Zeitalter lächerlich. Da die Unterstützungszahlungen von einer Milliarde Euro für die Nahostregion zu gering seien und die Realisierung der Freihandelszone zu langsam vorankomme, müssten die EU- Massnahmen weiterhin durch bilaterale Wirtschaftsabkommen ergänzt werden. Auch auf diesem Gebiet sei das Potential keineswegs ausgeschöpft, da beispielsweise der deutsche Export in die EMP-Partnerländer bisher nur drei Prozent des gesamten deutschen Exportvolumens betrage. Während der frühere israelische Wirtschaftsattaché in Deutschland Uri Ullmann kritisierte, dass die deutsche Wirtschaft im Blick auf den Nahen Osten nur am Export, nicht aber an Joint ventures und an Investitionen interessiert sei, monierte Pertes das fehlende Eintreten der deutschen Wirtschaft bei der Berliner Regierung für eine aktivere deutsche Nahostpolitik. Für grössere deutsche Investitionen in der Region, entgegnete Koerber, sei der Nahost-Markt bisher zu klein und die politische Lage noch zu instabil. Grösseres Kapitalengagement lohne sich nur, wenn die gemeinsame Freihandelszone errichtet sei. Der Friedensprozess, die Entwicklung politisch stabiler, rechtlich verlässlicher Rahmenbedingungen sowie einer demokratisch verankerter Marktwirtschaft sind für Koerber die Voraussetzung für ein verstärktes Engagement der deutschen und europäischen Industrie im Nahen Osten. Der Autor ist Theologe und lebt in Homberg/Efze. |