Neue Zürcher Zeitung, 15. April 2000 Neuer Wind auf Zypern? Türkischzypriotische Präsidentschaftswahlen In der völkerrechtlich nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern finden diesen Samstag Präsidentschaftswahlen statt. Dabei spielt einmal mehr die Frage eine Hauptrolle, ob eine Lösung für die geteilte Insel nach 26 Jahren überhaupt noch möglich ist. it. Istanbul, 14. April «Kann der Zypern-Konflikt noch in diesem Jahr gelöst werden?» Die Frage bewegt wieder die Gemüter auf der seit 1974 in einen «griechischen» Süden und einen «türkischen» Norden geteilten Mittelmeerinsel Zypern und weckt vergessene Hoffnungen, aber auch alte Ängste. Von einer «berechtigten Hoffnung, den Konflikt noch in diesem Jahr zu lösen», sprach Anfang Januar der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan. Nur wenig zurückhaltender erklärte kurz darauf die amerikanische Aussenministerin Albright, Zypern stehe einer Lösung näher als je zuvor. Ende Mai fangen in New York Friedensgespräche zwischen den Inselgriechen und den Inseltürken an. Ob bei diesem Treffen die Hoffnungen auf eine Einigung sich wie in den letzten 26 Jahren als «naiv» erweisen werden, hängt wesentlich von den türkischzypriotischen Wahlen ab. Diesen Samstag sind im nördlichen Inselteil knapp 127 000 Wähler aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen. Insgesamt acht Kandidaten bewerben sich darum. Sollte keiner mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten, wird am Ostersamstag eine Stichwahl stattfinden. Wettbewerb der Konservativen Das Rennen findet in Wirklichkeit zwischen dem heutigen Präsidenten Rauf Denktasch und dem Regierungschef Dervis Eroglu statt. Beide stammen aus dem rechtskonservativen Raum und sind in der Zypernfrage als Falken bekannt. Seitdem die britische Kolonie Zypern mit der gemischten griechisch-türkischen Bevölkerung 1960 unabhängig wurde, bestimmt Denktasch die Geschicke der kleinen türkischzypriotischen Nation mit eiserner Hand. In den Tagen des blutigen Aufruhrs 1974, als Athen gegen die zypriotische Regierung putschte und Ankara daraufhin türkische Truppen nach Zypern schicken und rund 40 Prozent der Mittelmeerinsel besetzen liess, verlieh der gelernte Jurist seiner Volksgruppe das Gefühl der Sicherheit. Denn allein er pflegte ausgezeichnete Kontakte bis in die höchsten Ränge des türkischen Staates. Im Jahr 1983 proklamierte Denktasch einseitig die Türkische Republik Nordzypern und hing für Jahre dem Traum nach, sie noch zu seinen Lebzeiten völkerrechtlich anerkannt zu sehen. In Wirklichkeit trieb er seine Nation mehr und mehr in die Isolation. Der Rumpfstaat ist nur von der Türkei anerkannt. Der Einfluss der Europäischen Union scheint nun auch den 76jährigen Politiker Denktasch zu verändern. Beim letzten EU-Gipfeltreffen in Helsinki wurde die Türkei zum Beitrittskandidaten erklärt. Gleichzeitig wurde die formelle Vorbedingung einer Lösung des Zypernkonflikts für den Anschluss der Mittelmeerinsel an die EU gestrichen. Denktasch war anfänglich überrascht und bezichtigte Ankara des Verrats. In seiner Wahlkampagne erklärte er dann plötzlich, er möchte der Führer sein, der seine Unterschrift unter eine Regelung setzt. Einen Beitritt Zyperns zur EU lehnt er nicht mehr so strikt ab wie vorher, sondern fordert separate Verhandlungen mit den Inseltürken. Die Wandlungen Denktaschs widerspiegeln deutlich das tiefe Dilemma, in dem Ankara steckt. Seit dem Helsinki-Treffen pendelt die türkische Regierung zwischen dem Wunsch, Mitglied des «zivilisierten Europas» zu sein, und ihrem Widerwillen, sich auch in der Zypernfrage einem Diktat aus Brüssel zu beugen. Korruptionsvorwürfe Der stärkste Herausforderer Denktaschs ist der 62jährige Mediziner Dervis Eroglu. Als geistiges Kind von Denktasch lehnt Eroglu die Wandlungen seines Vorbilds ab, ignoriert die EU und plädiert für eine weitere Assimilierung Nordzyperns im Mutterland Türkei. Ankara behandelt Eroglu im Moment stiefmütterlich. Erst vor kurzem hat der Zypernbeauftragte der türkischen Regierung, Sükrü Sina Gürel, den türkischzypriotischen Regierungschef wie einen unartigen Schüler im Beisein der Presse der Korruption bezichtigt, was die Erfolgschancen Eroglus sofort sinken liess. Ankara will offenbar seine verbesserten Beziehungen zur EU wegen des ungeschickten Hardliners nicht gefährden. Ein rascher EU-Beitritt ganz Zyperns und die friedliche Einigung mit den Inselgriechen ist der gemeinsame Nenner der drei Oppositionsparteien links der Mitte. Vereint haben sie einen Wähleranteil von rund 40 Prozent. Interessanterweise teilen sie mit den Inselgriechen das Gefühl, nach 1974 als Instrument türkischer strategischer Interessen ausgenutzt und allmählich zu einer Geisel Ankaras geworden zu sein. Der angesehene Vize-Regierungschef Mustafa Akinci von der links-liberalen Kommunalen Befreiungspartei hätte gute Chancen auf einen Sieg, wenn die linke Opposition ihn vereint unterstützte. Er wäre als Gesprächspartner Favorit der Inselgriechen und der internationalen Unterhändler. Doch die türkischzypriotische Opposition konnte sich nicht auf einen Kompromisskandidaten einigen. Sie geht in diese Wahlen mit drei verschiedenen Kandidaten und wird wie in den letzten dreissig Jahren voraussichtlich auch diesmal verlieren. Wandel der öffentlichen Meinung Ein noch unbekannter Faktor bei diesen Wahlen ist, zum erstenmal seit der Inselteilung überhaupt, die öffentliche Meinung. Laut den letzten Umfragen befürworten über 90 Prozent der Inseltürken den Beitritt der gesamten Insel zur EU. 95 Prozent der Befragten sind ferner für eine Lösung des Konflikts mit den Inselgriechen. Offenbar sind die Inseltürken ihrer jahrzehntelangen Isolation müde. Die jüngste Annäherung zwischen Griechenland und der Türkei hat bereits ermöglicht, an der nach 1974 unüberwindbar erscheinenden geistigen Grenze zwischen den zwei Volksgruppen zu rütteln. |