junge Welt 17.04.2000 Die Angst in den Augen Nach Skinhead-Überfall auf Flüchtling in Ditzingen: 400 Menschen bei Mahnwache am Sonnabend in schwäbischer Kleinstadt »Angst sprach aus den Augen von Sivanathan, als er mir gegenüber saß und von dem Unbegreiflichen erzählte, das ihm am Dienstag zugestoßen war. Seine Erinnerung endet mit einem Schlag, den er unvermittelt ins Gesicht erhielt. Sein malträtiertes Gesicht, die genähte Oberlippe, die tauben Zähne, die Prellungen, die Blutergüsse am ganzen Körper, die ständigen Schmerzen sprechen dagegen eine eindeutige Sprache«, berichtete Pfarrer Werner Baumgarten vom »Arbeitskreis Asyl Baden-Württemberg« am Sonnabend auf einer Mahnwache in Ditzingen (Kreis Ludwigsburg). Dort hatten vier jugendliche Skinheads am Dienstag letzter Woche gegen 23 Uhr den 34jährigen Flüchtling am Bahnhof zusammengeschlagen und auf die Zuggleise geworfen. Ein Zeuge verständigte die Polizei und zog das Opfer aus dem Gefahrenbereich, ehe ein Zug es überrollen konnte. Sivanathan Ponniah war im Juli 1992 aus Sri Lanka geflohen und wurde 1994 als politischer Flüchtling anerkannt. Nach Stationen in Heilbronn und Musberg lebte der Tamile zuletzt in Leonberg bei Stuttgart. Drei Skinheads wurden nach der Attacke mittlerweile inhaftiert, sie bestreiten jedoch den Tatablauf. Ein weiterer 20jähriger Hauptverdächtiger, der zur Tatzeit Bomberjacke, Tarnhose und Springerstiefel trug, wurde nach kurzem Verhör wieder freigelassen, da er ein Alibi vorweisen konnte. Das Landeskriminalamt sucht derweil auf Plakaten nach weiteren Zeugen. Der brutale Überfall hat in der schwäbischen Kleinstadt große Empörung ausgelöst. Rund 400 Menschen sind am Sonnabend dem Aufruf eines breiten Bürgerbündnisses zu einer Mahnwache auf den Marktplatz gefolgt. Sie sollte deutlich machen, daß Ditzingen sich nicht in die Reihe von Hoyerswerda, Rostock, Solingen oder Mölln stellen lassen möchte. »Nur weil wir eine andere Hautfarbe haben und anders aussehen, werden wir angegriffen. Wir fühlen uns unsicher und haben Angst«, sagte ein Tamile auf der Mahnwache, auf der auch ein Grußwort des Oberbürgermeisters verlesen wurde. Viele antirassistische Transparente waren zu sehen, Parolen wie »Hoch die internationale Solidarität« wurden skandiert. Nach Angaben des Innenministeriums ereigneten sich allein in Baden-Württemberg im Jahr 1998 rund 300 fremdenfeindliche Straftaten. Die meisten Vorfälle tauchen allenfalls als Meldung in der örtlichen Presse auf und stoßen kaum auf sonderliches Interesse. Auch der jüngste Skinhead- Überfall in Ditzingen findet in der Landespresse so gut wie keine Erwähnung. »In unserem Land besitzen Flüchtlinge das Grundrecht auf Asyl, an dem weder Skinheads noch populistische Politiker herumsägen dürfen«, sagte AK-Asyl- Sprecher Baumgarten. Er hofft, daß das antirassistische Engagement in Ditzingen fortgesetzt wird. »Ich hoffe, unsere Mahnwache ist ein Mosaikstein, das unveräußerliche Recht auf Zuflucht zu retten«. Martin Höxtermann |