Frankfurter Rundschau 18.4.2000 Eine Reise ins Andere Ein deutsch-israelisch-palästinensches Schriftstellertreffen Von Barbara Höhfeld Wer die Erinnerung pflegt, dem öffnet sich die Zukunft - der Satz könnte von Hans-Georg Meyer stammen. Als Direktor der Mainzer "Landeszentrale für Politische Bildung" kümmert er sich um die Gedenkstätten in Rheinland-Pfalz, aber er hat auch über Jahrzehnte hinweg eine Freundschaftsbeziehung zu Israel aufgebaut. Seit 1990 organisiert er regelmäßig Treffen zwischen israelischen und deutschen Schriftstellern, 1994 lud er zum ersten Mal palästinensische Autoren hinzu. Einige israelische Autoren sprachen damals in Bad Kreuznach erstmals mit arabischen Kollegen, und wenn auch die Palästinenser schon alle mit Israelis zu tun gehabt hatten - manche im Gefängnis -, so die meisten unter ihnen noch nie mit einem Schriftsteller. Drei Jahre später wurde die wütende Auseinandersetzung sogar in der Zeit fortgesetzt. Yoram Kaniuk griff die Veranstalter an, die es gewagt hatten, die drei Autorengruppen unter dem Stichwort "Heimat" in Speyer zu versammeln. Kürzlich hatte Meyer zum vierten Treffen gerufen, diesmal nach Jericho, zum erstenmal nach Palästina also. Aus Deutschland beteiligte sich ein Schriftstelleraufgebot, das deutlich die Grenzen von Rheinland-Pfalz überschritt: Ursula Krechel war dabei, einige Namen aus der jungen Garde der deutschen Literatur: Dagmar Leupold, Katherina Hacker, Christoph Peters und Ute Christine Krupp. Das Motto lautete dieses Mal "Frauen in der Literatur". War das mutig oder nur vorsichtig? Man muss sich die politische Lage in Nahost vergegenwärtigen: Jede Partei hält eisern an ihren Forderungen fest, auch friedenswillige Politiker müssen mit Fanatikern daheim rechnen. So durfte man hoffen, das Thema "Frauen" würde als unpolitisch betrachtet und das Gespräch unter den Schreibenden könnte sich weiter entwickeln. Tatsächlich nannten zumindest die anwesenden Palästinenser das Thema "sozial", nicht "politisch", und keiner widersprach. Dennoch kam keine einzige Palästinenserin zu dem Treffen. Das bedeutete: Die palästinensischen Frauen wollten ihr Auftreten als politisch gewertet sehen und nicht bloss als sozial. Die Einladung gab ihnen Gelegenheit, dies zur Kenntnis zu bringen. Dass sie die Einladung ausschlugen, war also keineswegs ein Zeichen von mangelnder Emanzipation. Dieses Etikett hätten manche Reiseteilnehmer aus Deutschland den unsichtbaren Kolleginnen gern angeheftet. Für jemanden, der Nahost zum erstenmal besuchte, und das galt für etwa die Hälfte der Teilnehmer, war es fast unmöglich, einen Überblick zu gewinnen. Uri Avneri, jüdischer Journalist und Friedensaktivist, verhalf zu ein wenig mehr Verständnis. Die Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern sollen "normalisiert" werden. Die Israelis verstehen darunter, dass Frieden eintritt, ohne dass sich sonst zunächst etwas ändert. Die Palästinenser aber wollen keinen Frieden versprechen, solange sie keinen eigenen Staat haben und ihr Land nicht zurückbekommen, solange viele andere Probleme - von denen die Wasserversorgung nicht das geringste ist - nicht geklärt worden sind. In ihren Augen bedeutet "Normalisierung" heute ein Schimpfwort. Darum erschien kein palästinensischer Autor, keine Autorin zu dem Treffen. Doch, einer kam: Sami Al-Khilani aus Nablus, der schon seit 1994 dabei ist. Der Kreis aus Blut und Gewalt könne durchbrochen werden, sagte er, die Voraussetzung sei Gleichberechtigung. Man könne auch im Zorn reden. Ihm schien, anders als seinen Kollegen, das Reden wichtiger als Schweigen. "Niemand schreibt mir vor, wohin ich gehe", sagte er stolz. Als Freiheitskämpfer hat er fünf Jahre in israelischen Gefängnissen zugebracht und steht noch heute, obwohl ein dezidierter Friedensvertreter, auf den israelischen schwarzen Listen. Von Nablus aus organisiert er für die Autonomiebehörde die Leseförderung vor allem in Grundschulen. In den letzten Jahren habe er mehrere Kinderbücher geschrieben. Vor drei Jahren in Speyer hatte er sich noch mit Lea Fleischmann angelegt. Statt der Palästinenser traten drei Araber aus Israel auf, die sich als "israelische Palästinenser" bezeichnen. Es waren gebildete Männer, die in beiden Sprachen zuhause sind, an jüdischen Universitäten arbeiten, die übersetzen und versuchen, Brücken zwischen der jüdischen und der arabischen Kultur zu bauen. Einer von ihnen, Ghanem Mazal, hielt denn auch den Vortrag über die Frauen und das Frauenbild in der palästinensischen Literatur. Da die Frauen jahrelang allein wirtschaften mussten - die Männer fern im Krieg oder im Gefängnis oder tot - hat sich bei den Palästinenserinnen ein Selbstbewusstsein herausgebildet, wie es in traditionellen orientalischen Gesellschaften nicht so leicht entsteht. Heute sind mehr als 50 Prozent der Studenten an palästinensischen Universitäten weiblich. Vier Autorinnen behandelte Mazal, von denen vor allem Sahar Khalil auch in Deutschland bekannt ist, da mehrere Romane von ihr im Union-Verlag erschienen sind. In ihren Geschichten spiegeln sich die Veränderungen in den Beziehungen innerhalb der Familie, aber auch des Volkes während der Intifada, dem Aufstand gegen Israel, wider. Salem Jubran aus Nazareth fügte eine fünfte Autorin hinzu: Liliane Badr. Sein Kollege, Faruk Mawasi, lobte den literarischen Überblick, den es bislang nicht gegeben habe, und forderte nun akademische Befassung mit jeder einzelnen dieser Autorinnen. Es erging den Deutschen mit den Israelis nicht viel anders, obwohl deren Texte sogar unter diesen schwierigen Umständen etwas vertrauter klangen. Hier sprachen die Frauen selber, allen voran Orly Lubin, eine Komparatistin, die an der israelischen Filmakademie lehrt und leidenschaftlich den Standpunkt der Frauen verfocht. Sie erklärte: der Nationalismus, und darin unterscheidet sich der israelische nicht von andern, lebt von Gewalt und Eroberung . Erst in den 60er und 70er Jahren bemerkten die Frauen, dass ihnen der Zugang zu nationalen Domänen wie Diplomatie und Militär versperrt blieb; sie kamen nur als "Mutter Erde", als "Mutter Nation", als Symbolfigur vor, körperlos. Eine Autorin, die sich dieser Einteilung nicht unterwarf, wurde einfach nicht gedruckt. Den israelischen Autorinnen stellte sich ihr Problem daher in einer klaren Frage dar: Wie konnten sie Teil der Nation sein und doch Frau bleiben? Sie fanden einen Ausweg. Anstelle der nationalen "Heimstätte" beschrieben sie ihre private Heimstätte. So fanden sie den Weg in die Wirklichkeit. In der Religion gilt die Frau als "unrein" - die Antwort war: den Körper ernst nehmen. Inzwischen haben sich, so Lubin, Dynastien von Autorinnen entwickelt. Frauen sind gleichzeitig drinnen und draussen, sie befassen sich nicht nur mit ethnischen Grenzen , sondern auch mit Geschlechter-Identitäten. Ihnen wurde offenbar, dass bis dahin die hebräische Literatur durch Begriffe wie "zionistisch", "jüdisch", "aschkenasisch" sehr eingeschränkt war. In den letzten 20, 30 Jahren sorgten die Frauen dafür, dass sich das änderte. Ganz am Ende der Reise kamen die deutschen Teilnehmer in einer Aussprache untereinander zu dem Schluss, dass sie in Israel etwas fundamental Neues entdeckt hatten. Gleichzeitig bedauerte Dagmar Leupold ausdrücklich, dass die neue deutsche Literatur in Israel noch völlig unbekannt sei; ungerechterweise, zumal umgekehrt in Deutschland mehr als hundert Titel jüngster israelischer Literatur vorlägen. Von den Palästinensern war in diesem Moment nicht mehr die Rede. |