junge Welt 19.04.2000 Irans Klerikale eskalieren Machtkampf Khamenei-Fraktion will Ergebnisse der Parlamentswahlen nicht akzeptieren Der Oberste Führer der Islamischen Republik Iran, Ayatollah Ali Khamenei, hat am 14. April in der Teheraner Universität beim Freitagsgebet die Notwendigkeit betont, zur Aufrechterhaltung der Ordnung Gewalt anzuwenden und »Reformen im amerikanischen Stil« verurteilt. Seitdem haben die Justiz, der Wächterrat, der Majlis (Parlament) und das Revolutionsgardecorps die Fraktion des gemäßigten Regierungschefs Khatami verstärkt in die Zange genommen. Rund einen Monat vor dem bisherigen offiziellen Datum der Konstituierung des neuen Parlaments, das erstmalig eine Mehrheit von »Reformern« hat, scheinen sie gewillt, das zunächst von ihnen anerkannte Wahlergebnis doch noch in Frage zu stellen. Am Montag sagte der Chef des Justizwesens, Mahmoud Hashemi Shahroudi, sich auf Khameneis Bemerkung beziehend: »Aus religiöser und gesetzlicher Sicht sind die Kommentare Seiner Eminenz (Khameneis) für alle Organe des Landes bindend, vor allem für die Justiz. Seine Worte haben Gesetzeskraft.« Er fügte hinzu: »Wenn nötig, wird die Justiz ihre Pflichten ohne Ansehen der Person oder Gruppe erfüllen.« Schon am Tag vor dieser kaum verhüllten Drohung hatte der Wächterrat die Ergebnisse der Wahlen in Teheran in Zweifel gezogen und das Innenministerium angewiesen, dem Rat die Wahlurnen zwecks Neuauszählung auszuhändigen. Gleichzeitig sagte der Vorsitzende des Rates, Ahmad Jannati, der zweite Wahldurchgang werde nicht zum vorgesehenen Termin stattfinden. Der sechste Majlis kann deshalb wohl nicht wie geplant am 27. Mai zusammentreten. Am Montag erklärte der Wächterrat auch die Wahlergebnisse in Darab und in Dutzenden von Wahlkreisen in Sarvastan, Khoy und Orumieh für ungültig und änderte die Ergebnisse zugunsten von Kandidaten der Khamenei-Fraktion. Bis jetzt sind elf Kandidaten von Khatamis Fraktion, die vom Innenministerium zu Siegern erklärt worden waren, vom Wächterrat wieder eliminiert worden. Jannati sagte, daß der Grund für die Ungültigkeitserklärungen Wahlfälschungen gewesen seien. Er verwies »auf die Rolle, die verschiedene Beamte der Exekutive zugunsten einer Reihe von speziellen Kandidaten gespielt haben, und auf die Drohungen, Einschüchterungen und Bestechungen.« Inzwischen hat der Majlis der Mullahs Teile eines neuen Pressegesetzes ratifiziert, das den Boden für die Schließung von Pro-Khatami-Zeitungen und die Verhaftung ihrer Eigentümer und Autoren vorbereitet. Diesem Gesetz entsprechend »wird die Verbreitung von Gerüchten und die Veröffentlichung von Artikeln, die gegen die Verfassung gerichtet sind, als Untergrabung der islamischen Vorschriften und Dekrete und der Rechte der Öffentlichkeit betrachtet«. Dem gleichen Gesetz zufolge »haben Mitglieder und Unterstützer konterrevolutionärer oder illegaler Gruppen, solche, die von den Revolutionsgerichten wegen konterrevolutionären Verhaltens verurteilt wurden oder, weil sie gegen die innere und äußere Sicherheit verstoßen haben, und solche, die Propagandakampagnen gegen die Islamische Republik Iran durchgeführt haben oder an ihnen beteiligt waren, kein Recht, sich in irgendeiner Form journalistisch zu betätigen oder Stellen im Pressewesen anzunehmen.« Im vergangenen Juli hatte die Unterstützung des Majlis für den entsprechenden Entwurf dieses Pressegesetzes einen sechstägigen blutigen Aufstand, der vor allem von Studenten getragen wurde, ausgelöst. Khameneis Fraktion scheut offenbar vor keinem Mittel im Kampf um ihre bedrohten Pfründe zurück. Unter anderem wurde aus ihren Kreisen auch abermals die Notwendigkeit bekräftigt, die Fatwa Khomeinis gegen den britischen Schriftsteller Salman Rushdie auszuführen und ihn zu ermorden. Die Maßnahmen der Anhänger Khameneis stoßen aber immer wieder auf gewalttätige Protestaktionen. So kam es in der Stadt Rasht jüngst zu sich über drei Tage hinziehenden Auseinandersetzungen zwischen Gruppen von Jugendlichen einerseits und islamischen Milizionären und der Polizei andererseits, nachdem Mitglieder der islamischen Freiwilligenmiliz eine junge Frau angehalten hatten, weil ihre Kleidung nicht den herrschenden Vorschriften entsprochen habe. Anwesende Jugendliche hatten daraufhin dem staatlichen Rundfunk zufolge begonnen, Parolen gegen Khamenei zu rufen und Scheiben zu zerschlagen. In den beiden folgenden Tagen wurden auch Banken und öffentliche Gebäude angegriffen sowie brennende Autoreifen auf die Straßen geworfen. Die Ereignisse führten auch zu einem offenen Konflikt zwischen dem stellvertretenden politischen und Sicherheitschef der Provinz Gilan, Ali Bagheri, und dem dortigen Repräsentanten des Obersten Führers, Sadegh Ehsan-Bakhsh. Dieser antwortete auf die Feststellung Ali Bagheris, die islamischen Milizionäre hätten die Unruhen ausgelöst: »Es war wohl eher so, daß Herr Bagheri die ganze Sache eingefädelt hat.« Anton Holberg |