Stuttgarter Zeitung online19.04.2000 Der ewige Verweigerer denkt nicht an den Ruhestand Am Samstag entscheiden die Nordzyprer über eine vierte Amtszeit des Präsidenten - Herausforderer verfolgt ähnliche politische Ziele Rauf Denktasch oder Dervisch Eroglu heißt die Alternative. Auf Nordzypern wird ein neuer Präsident gewählt. Das Spitzenthema im Wahlkampf sind die Gespräche mit dem Süden der Insel. Von Gerd Höhler, Nikosia ¸¸Dies ist ein Vertrauensvotum meines Volkes'', sagt Rauf Denktasch und lässt im Blitzlichtgewitter seinen Stimmzettel am vergangenen Samstag in die Urne rutschen. So ist er. Er hat gerade beim ersten Wahlgang abgestimmt, doch das Ergebnis steht für ihn schon fest. Seit einem Vierteljahrhundert dominiert er das politische Leben im Norden der Insel, seit 15 Jahren amtiert er als Präsident der Türkischen Republik Nordzypern (KKTC). Die wird zwar nur von Ankara völkerrechtlich anerkannt, aber mangelndes Selbstbewusstsein kann Denktasch deshalb niemand nachsagen. Dass der 76-Jährige im ersten Wahlgang am vergangenen Samstag mit knapp 44 Prozent der Stimmen nicht die absolute Mehrheit erreichte, nimmt er als lästige Verzögerung hin. Doch über den Ausgang der Stichwahl, in der er sich am kommenden Samstag gegen Dervisch Eroglu behaupten muss, hat Denktasch keine Zweifel: ¸¸Am Ende werde ich gewinnen''. So sahen das die meisten Beobachter noch vor einigen Wochen auch. Inzwischen gilt Denktasch nicht mehr als hoher Favorit. Das hat auch mit der türkischen Innenpolitik zu tun. In der Türkei scheiterte kürzlich der Versuch, dem Präsidenten Süleyman Demirel eine weitere Amtszeit zu sichern. Dass es die Türken wagten, ¸¸Sultan Süleyman'' in Pension zu schicken, könnte manchen ¸¸Inseltürken'' auf den Gedanken bringen: Ist es nicht an der Zeit, auch den Dinosaurier Denktasch aus dem Verkehr zu ziehen? Sein Konkurrent Dervisch Eroglu hat es als Ministerpräsident der KKTC immerhin geschafft, Denktaschs Monopol aufzubrechen und verfügt inzwischen über eine eigene Machtbasis. Er ist ein ernst zu nehmender Konkurrent. Umso mehr versucht sich Präsident Denktasch unentbehrlich zu machen. ¸¸Sagt mir'', fordert er auf dem Atatürk-Platz der geteilten Inselhauptstadt Nikosia seine Anhänger auf, ¸¸werde ich euch weiterhin bei den Gesprächen vertreten, oder ist alles vorbei?'' Die Antwort der Menge kommt wie aus einem Mund: ¸¸Nein, wir sind stolz auf dich!'' Die Gespräche, damit meint Denktasch die Sondierungen mit der Republik Zypern bei der Uno Ende Mai. Sie sind das wichtigste Wahlkampfthema. ¸¸Diesmal bin ich derjenige, der nach New York fährt'', verkündet Eroglu bereits. Denktasch scheint das ganze Gewicht seiner beachtlichen Leibesfülle in die Waagschale werfen zu wollen. Eroglu, so gibt er zu verstehen, sei nicht präsentabel. Wer die Verhandlungen führen wolle, sollte mindestens ein, zwei Fremdsprachen beherrschen, mahnt Denktasch, der in London Jura studierte, den britischen Kolonialherren in den fünfziger Jahren als Generalstaatsanwalt diente. Eroglu, so wissen alle, kann nur Türkisch. Eroglu wollte bis vor kurzem gar nicht verhandeln. Mit der 1974 durch die türkische Invasion herbeigeführten Teilung sei die Zypernfrage gelöst. Aber der Hardliner hat seine Haltung modifiziert. Er liegt nun etwa auf Denktasch-Linie: Verhandlungen ja, aber nicht mit dem Ziel einer Wiedervereinigung sondern eines eher locker geknüpften Staatenbundes. Letztlich würde das die Legalisierung der Teilung bedeuten. Über Freizügigkeit für alle Zyprer will Denktasch ebenso wenig mit sich reden lassen wie über eine Rückkehr der 1974 vertriebenen Griechen oder einen Abzug der Besatzungssoldaten. Überdies fordert er als Bedingung für Verhandlungen die völkerrechtliche Anerkennung seiner KKTC. Bleibt es dabei, sind die New Yorker Gespräche wohl zum Scheitern verurteilt. Während Denktasch den Griechen als ewiger Verweigerer gilt, setzen im Norden manche auf ihn als den Einzigen, der ein Arrangement aushandeln kann. Mit der Teilung wollen sich viele türkische Zyprer nicht abfinden. Mindestens 50000 verließen seit 1974 ihre Heimat. Die meisten gingen wegen der chronischen Wirtschaftsmisere im Norden, wo das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen weniger als ein Drittel des Südens beträgt. Viele flohen, weil sie sich mit der Denktasch-Republik nicht identifizieren konnten. Rund 110000 Siedler vom anatolischen Festland hat Denktasch in den vergangenen 20 Jahren auf die Insel geholt um die Abwanderung auszugleichen, vor allem aber, um die demografischen Strukturen im früher gemischt besiedelten Norden dauerhaft zu verändern. Dort sind die Zyperntürken gegenüber den anatolischen Siedlern bereits in der Minderheit. Entscheidend für den Ausgang der Stichwahl wird sein, wem die Wähler der ausgeschiedenen linksgerichteten Kandidaten ihre Stimme geben. Die Linksparteien fordern Flexibilität in den Volksgruppenverhandlungen, die Wiedervereinigung der Insel auf Basis eines Bundesstaates und eine Teilnahme der türkischen Volksgruppe an den EU-Beitrittsverhandlungen. Das hat Denktasch bisher verweigert. Um sich die Unterstützung der linken Wähler zu sichern, könnte er gezwungen sein, sich flexibler zu geben. Ob damit wirklich Bewegung in die Zypernfrage kommen würde, ist ungewiss. Der Schlüssel zur Lösung liegt nach wie vor in Ankara bei den dortigen Militärs. Ohne deren Einverständnis wird kein einziger Soldat abziehen und keine neue Verfassung gebilligt werden. Egal was nordzyprische Politiker versprechen.
|