SÜDKURIER 19.4.2000 Aus dem Gerichtssaal Eine Erzählung und die Grenzen des Asylrechts Der Fall Sakiz vor dem Freiburger Verwaltungsgericht - Bekanntheitsgrad der Familie ein weiterer Gefährdungspunkt Furtwangen (wt) Kann ein gefolterter Mensch beim Versuch, die üblen Ereignisse wiederzugeben, alles durchdacht und zeitlich in der richtigen Reihenfolge erzählen oder vermag er nur konfus und bruchstückhaft zurückzublicken. Um solche Fragen drehte sich die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Freiburg im Fall Sakiz. Das vom Anwalt der Familie im Furtwanger Kirchenasyl vorgelegte Gutachten hielt eine durch Traumatisierung nicht ganz widerspruchsfrei erzählte Schilderung der Folterungen für weitaus wahrscheinlicher als eine durchdachte und zeitlich stringente Erzählung. "Hier sind wir in einem Dilemma", so der vorsitzende Richter, "und stoßen klar an die Grenzen des Asylrechts". Einerseits seien für eine Anerkennung konkrete und widerspruchsfreie Angaben der Bewerber notwendig, andererseits seien Betroffene aber nicht in der Lage dazu, diese zu machen. Ullrich Hahn, Verteidiger der Flüchtlingsfamilie, stimmte der Ansicht des Richters durchaus zu, zitierte aber auch das Bundesverwaltungsgericht, wonach die Flüchtlinge eben nicht mehr tun könnten, als ihre Geschichte zu erzählen - so gut sie es eben können. Berechtigte Skepsis an konfusen Aussagen dürfe nicht dahin führen, dass Fälle wie der von Herrn Sakiz mit einer sogenannten "posttraumatischen Belastungsstörung" prinzipiell keine Chance hätten. "Ich habe meine allergrößten Schwierigkeiten damit, das muss ich in aller Offenheit sagen", so der Richter. Durch das Gutachten sei noch nicht festgestellt, welche konkreten Vorgänge in der Türkei stattgefunden hätten. Anwalt Hahn betonte, dass sich die Traumatisierung von Herrn Sakiz eindeutig auf sein Herkunftsland beziehe. Ganz abgesehen von der erneuten Foltergefahr, könne eine sinnvolle Behandlung der schweren Belastungsstörung auf keinen Fall dort erfolgen. Für einen Duldungsfall aus diesem Grund sah der Richter allerdings die Gefahr eines faktischen Gesundungsverbots, denn sei die Krankheit ausgeheilt, müsse der Betroffene das Land verlassen. Im Asylrecht geht es weniger um die erlittene als um die drohende Folter. Ein gewichtiges Argument gegen eine Abschiebung der Familie ist die inzwischen bundesweite Bekanntheit des Falles. Spätestens durch Fernseh- und Radioberichterstattung, einem mehrspaltigen Artikel in der Süddeutschen Zeitung und besonders durch journalistische Anfragen bei der türkischen Botschaft nach einer Stellungnahme zu den Vorwürfen von Herrn Sakiz gegenüber den Behörden im Herkunftsland, ist klar, dass staatliche türkische Ämter um den Fall wissen. Diesbezüglich ist auch nicht mehr nur Herr Sakiz, sondern die ganze Familie bedroht. Dem Richter wurde von Rechtsanwalt Hahn zur Dokumentation umfangreiches Pressematerial aus der Berichterstattung zur Verfügung gestellt. Dass sogar aktuell in Deutschland die Verfolgung der kurdischen Minderheit und noch konkreter der Familie Sakiz durch türkische Institutionen wahrnehmbar ist, zeigte Frau Sakiz glaubhaft in ihrer Schlussrede auf: "Ich traue mich kaum mehr, mit meiner Mutter in der Türkei zu telefonieren. Die Leitung wird abgehört; das merkt man daran, dass die Verbindung immer dann unterbrochen wird, wenn wir Kurdisch reden." Das Urteil wird in einigen Tagen erwartet. Es wird den Beteiligten schriftlich per Post zugestellt.
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