Neue Zürcher Zeitung 20.04.2000 Ausbau der türkisch-chinesischen Beziehungen Spannungen wegen des «Massenmords» an Uiguren it. Istanbul, 19. April Der chinesische Präsident Jiang Zemin hat am Mittwoch in Ankara zum Ausbau der türkisch- chinesischen Beziehungen aufgerufen. In der Vergangenheit habe die Seidenstrasse China und die Türkei verbunden, erklärte der hohe Gast. Sein Besuch in der Türkei bezwecke nun, wie damals erneut eine Partnerschaft zwischen den zwei Völkern zu ermöglichen. Der dreitägige Besuch Jiang Zemins, der erste eines chinesischen Präsidenten in der Türkei seit 14 Jahren, gilt vor allem dem Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen. China hatte laut dem türkischen Energieminister Ersümer schon lange sein Interesse bekundet, im vielversprechenden Energiesektor der Türkei aktiver zu werden. Dabei seien chinesische Unternehmen hauptsächlich daran interessiert, in der an Mineralien reichen türkischen Schwarzmeerregion Kohlenkraftwerke zu bauen. Chinesische Unternehmen waren bereits am Bau von zwei Wasserkraftwerken mit 460 Millionen Dollar beteiligt. Der bilaterale Handel mit einem Volumen von 800 Millionen Dollar letztes Jahr ist nicht ausgeglichen: Die türkischen Exporte in das Riesenreich machen lediglich 40 Millionen Dollar aus. Der Besuch des chinesischen Präsidenten sorgte allerdings für Spannungen in Ankara. Das brutale Vorgehen der chinesischen Behörden gegen das türksprachige Volk der Uiguren in der westchinesischen autonomen Region Xinjiang hat die Öffentlichkeit in der Türkei immer wieder bewegt. Die Uiguren gelten hierzulande als ein leitendes Brudervolk in «Ost-Turkestan», das beschützt werden müsste. Emotionen werden dabei immer wieder angeheizt von jenen islamistischen wie nationalistischen Kreisen, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion von der Vision einer türkischen Einflusszone bis zur chinesischen Grenze beflügelt fühlen. Die repressive Politik Chinas in «Ost-Turkestan» habe zum Ziel, die kulturelle Identität der Uiguren zu zerstören, erklärte in einem Protestschreiben der islamistische Menschenrechtsverein Mazlum-Der. 13 Organisationen protestierten am Mittwoch landesweit gegen den Besuch von Jiang Zemin. Im letzten Moment gelang es dabei der Regierung, einen offenen Konflikt mit dem zweitstärksten Partner in der Koalition, der Nationalistischen Aktionspartei (MHP), abzuwenden. Die Türkei wolle einen «Genozid» an den Uiguren nicht dulden, erklärte der MHP-Staatsminister Mirzaoglu und lehnte es ab, die Vergabe einer Ehrenmedaille des türkischen Staates für Zemin zu billigen. Die MHP änderte ihre Haltung erst, nachdem das Aussenministerium versprochen hatte, dem chinesischen Gast «hinter verschlossenen Türen» klarzumachen, wie empfindlich Ankara auf das Schicksal der Uiguren reagiere. |