Salzburger Nachrichten, 20.04.2000 Türkei: Nuklearindustrie will in einer malerischen und einsamen Bucht im Süden des Landes bauen CAN MEREY ISTANBUL (SN, dpa). Die verschlafene Region zwischen Alanya und Mersin gehört zu den wenigen Flecken an der türkischen Südküste, an denen der Tourismusboom beinahe spurlos vorübergegangen ist. Nicht Hotelhochburgen, sondern Bananen- und Tomatenplantagen säumen das Hinterland. Statt braun gebrannter Urlauber bevölkern in Pluderhosen gekleidete Männer die Straße. Bereits seit Jahren wird über den Bau des ersten Atomkraftwerks des Landes in der dünn besiedelten Gegend diskutiert. Nach mehrmaligen Verschiebungen soll nun voraussichtlich heute, Karfreitag entschieden werden, welches der drei Konsortien, darunter die deutschfranzösische Nuclear Power International (NPI), den Zuschlag erhalten soll. Doch in der Provinz herrscht Unmut über die Atompläne. Ein von Kiefernwäldern umgebener Bilderbuch-Sandstrand bei dem Dörfchen Akkuyu ist als Standort für das umstrittene Projekt vorgesehen. Umweltschützer kritisieren, dass der Ort im Erdbebengebiet liege. Nur 20 bis 25 Kilometer entfernt sei eine seismisch aktive Zone. Die Siedlung, die als Namensgeber für das Kraftwerk dient, ist inzwischen verlassen und Teil des Sperrgebietes - ebenso wie die idyllische Bucht, die seit der Abriegelung des Geländes nur noch auf alten Postkarten betrachtet werden kann. Eine dieser Panoramakarten hängt im Büro von Hümmet Bü-yük, dem Bürgermeister von Ovacik. Den 2300-Seelen-Ort werden nur rund fünf Kilometer und ein Hügel von dem geplanten AKW trennen. "Das ist neueste Technologie, die uns da verkauft wird", so wischt der parteilose Ortsvorsteher, der als einer der wenigen im Dorf die Pläne prinzipiell begrüßt, Bedenken hinweg. Zwar sei ein Restrisiko nicht zu verleugnen. "Aber bei den vielen Atomkraftwerken in Europa passiert doch auch nichts." Außerdem bringe Akkuyu Geld und Arbeit in die ärmliche Region. Doch ganz glücklich ist selbst Büyük mit der in der fernen Hauptstadt gefällten Entscheidung nicht. Zwar glaube er, dass die Türkei Atomkraft benötige. "Aber muss man das Kraftwerk wirklich in eine so schöne Bucht bauen?", fragt er seufzend. In Ovacik wollen sich die meisten Akkuyu-Gegner nur anonym äußern - aus Angst vor staatlicher Repression, sagen sie. Der 56-jährige Rentner Haydar Sahin und sein Freund Mehmed Yilmaz gehören zu den wenigen, die sich offen gegen das AKW aussprechen. "Wenn das Ding explodiert, wird bei uns alles Leben enden. Menschen, Tiere, Pflanzen werden sterben", sagt Sahin. Die anderen Bewohner im Teehaus nicken zustimmend. Yilmaz meint: "Wenn Atomkraft eine so saubere Energie sein soll: Warum wird das Kraftwerk dann nicht in Istanbul gebaut?" Eine politische Lobby haben die gegen Akkuyu engagierten Bewohner des Dorfes kaum. Die Parteien befürworteten den Bau, sagt ein lokaler Funktionär. Er selber sei zwar auch gegen das AKW, räumt er hinter vorgehaltener Hand ein, doch dürfe er diese Ansicht nicht öffentlich äußern. Auch der Leiter einer der wenigen Feriensiedlungen in der Umgebung will seinen Namen nicht im Zusammenhang mit Akkuyu veröffentlicht sehen. "Wir sind hinter den Kulissen bemüht, unseren Standpunkt gegen das Kraftwerk zu vertreten." Die Branche wolle aus Furcht vor negativer Publicity im Ausland keinen großen Wirbel veranstalten. Wenn das Kraftwerk aber tatsächlich gebaut werde, werde nicht nur die Region auf ewig touristisches Entwicklungsland bleiben, meint der besorgte Hotelier. |